Mehrstöckiges Gebäude mit luftig-lockerer Architektur am See (Bihu-Park) NeiHu wieder abgerissen. Zu hübsch gewesen?
Ein anderer Expat beschrieb im Ausländerforum den Städtebau in Taiwan einmal als "die Abwesenheit von Architektur". Das waren damals um das Jahr 2007 herum oder so weise Worte, denn damals bestanden Taiwans Städte fast nur aus schlichten grau-bräunlichen Zweckbauten, die nach dem Plattenbauschema in den 60ern und 70ern schnell hochgezogen worden waren und oft auch ziemlich verkommen waren. Die Balkone waren öfter mal mit Unrat zugestellt, manchmal mit vor sich hin gärendem Hausmüll und die Fenster hatten dreckige und oft irgendwie mit Pappe verklebte Fenster hinter rostigen Fenstergittern. Fotografiert habe ich die mich damals ständig umgebende Hässlichkeit nicht oder kaum, dachte ich doch sie würde mich ewig umgeben. Seit den 2000er und insbesondere Seit den 2010er - Jahren jedoch wurden viele der Schlichtbauten weggerissen und durch neuere schickere riesige Apartmenthäuser oder Bürohäuser ersetzt und die restlichen Schlichtbauten sind meist aufgehübscht. Fenster haben neue Anbauten in Schneeweiß mit teilweise blütenweißen sauberen Gittern (gegen Taifun und Einbrecher) und manchmal sogar Blumenkästen Parterre.
Kürzlich gebaut...
Eine ganz gruselige Ecke war direkt am schicken See bei uns ganz in der Nähe, der noch in den 90ern eine reine wässrige Müllkippe war, wie meine Frau erzählt. Noch in den 2000ern habe ich den See wegen einer vor sich hin stinkenden wilden Müllkippe, die zwischen meiner Wohnung und dem See lag selten bis nie aufgesucht. Erleichtert war ich entsprechend, als das wässrige Abbruchgrundstück geräumt wurde und stattdessen dort ein weißer luftig-lockerer vierstöckiger Nobelbau erstanden war. Alt (auf einem der seltenen Fotos von damals) und neu sind in diesem Artikel von neulich freudig gegenübergestellt:
http://osttellerrand.blogspot.tw/2014/09/stinkender-mull-nobelapartments.html
Entsprechend groß war der Schock, als ich dieser Tage wieder dort vorbei kam. Der ganze Nobelneubau war komplett wieder weggerissen, es wird schon wieder dort gebaut. Das abgerissene Haus kann kein Jahr dort gestanden haben!
... und schon wieder weg. Taiwanische Wegwerfarchitektur? Deutlich erkennt man in beiden Fotos trotz unterschiedliche Perspektive das schmuddelige Eckhaus hier rechts mittig im Bild (im oberen Bild leicht links mittig).
Des Rätsels Lösung sind wohl die zahlreichen Werbespots für Hochhäuser mit Nobelapartments am See, die derzeit im Taiwan-TV laufen. Ich vermute, dass es sich bei dem wohl vierstöckigen Haus nur um einen Verkaufspavillon gehandelt hat. Das ist wegen der Zahl der Stockwerke ungewöhnlich, denn sonst handelt es sich bei solchen Verkaufsstellen immer nur um einstöckige Häuser.
Die Umgebung des Sees ist eine ziemlich verbaute Quaste aus alten Schlichtbauten, schmalen Gassen und neueren Häusern dazwischen. Alles steht wie planungslos oft kreuz und quer in schief zueinander.
Dieses Bild lässt erahnen wohin die Reise geht. Weg von den alten Schlichtbauten, hin zu viel teureren Wohnungen in Hochhäusern, die dann leer stehen, weil sie von Spekulanten gekauft werden, die auf noch höhere Preise in Taiwans Immobilienblase hoffen. Eine 70qm-Schlichtwohnung wie im Häuserblock im Bild (der echte, nicht der auf dem Werbeschild) hat noch 2004 etwa 6 Millionen NT gekostet (ungefähr durch 40 in Euro nach dem alten Standardkurs, auch wenn der derzeitige Kurs niedriger ist). Heute kosten solche Wohnungen um die 21-23 Millionen NT, oft im unrennovierten Zustand. Miete ist in der Zeit mit 20.000 - 25.000 NT konstant geblieben; bislang waren das etwa 500 Euro mtl.). Nobelwohnungen auch ohne Seelage sind im Zeitraum von 3 bzw. 2 Jahren von 40 Millionen auf 50-60 Millionen NT gestiegen, also bei 1.5 Millionen Euro nach dem alten Standardkurs vor der eurokursdrückenen El-Greco-Taspiras-Zeit. Freistehende (und i.d.R. leer stehende) Häuser auf dem Lande sind in den letzten Jahren von 8-9 Mill. NT auf 20-23 Mill. NT gestiegen. Zuletzt 2012 oder so nachgefragt, bestimmt schon wieder teurer. Nobelreihenhäuser sind in dem Zeitraum komplett leerstehender Weise von 32 auf 60 Mill. NT geklettert.
Hübsch und ruhig liegt der See dar, vor dessen innewohnenden Geistern ich schon des öfteren gewarnt worden bin von meiner Taiwanfamilie. Doch mehr und mehr wird er wohl durch immer höhere und dann leer stehende Apartmentblocks zubetoniert. Ganz lustig übrigens links im Bild die Häuser. Das sind eigentlich auch simple Plattenbauten, die der Architekt aber durch aufgesetzte rote Hütchen von den schmuddeligeren Bauten dahinter abgesetzt hat. Macht die Preise sicher gleich viel höher.
Ein von mir kürzlich bewunderter auf dem Wasser treibender Dreikuppelbau aus Riet war auch schon wieder weg. Hier wäre er früher in der Bildmitte gewesen. Wegwerfarchitektur eben. Aufreißen, reingehen und wegschmeißen.
Hier wird also demnächst hohes unter dem beliebten Kürzel AIT zu sehen sein, wieder direkt vor den alten Schlichtbauten. AIT steht eigentlich für "American Institute in Taiwan" und ist die Quasi-Botschaft der USA in Taiwan, eine mächtige Instanz, die sich oft in Regierungspolitik mischt oder mischen will, wo doch die USA ein bisschen noch die Schutzmacht Taiwans sind. Offenbar hat eine taiwanische Immobilienfirma das Namenskürzel für sich entdeckt. Mit dem chinesischen Schriftzeichen links von AIT lese ich immer "LAIT", also "Milch" auf Französisch. Liegt aber vielleicht auch nur daran, dass ich Vater eines Kleinkindes bin ;-)
Mein Tipp an das falsche AIT: Einfach den See trocken legen, ein mehrgeschossiges blau gestrichenes Parkhaus reingebaut und schon sind alle Probleme - auch die mit den Geistern - gelöst. Denn wo die vielen Mieter in der extrem parkplatzarmen Gegend parken sollen, das weiß wohl kein Mensch - ob lebendig oder nicht.