Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, Oktober 17, 2007

Tod in Taiwan (eine Fledderbeerdigung)

ENGLISH: this is a re-post of a description of a Taiwan funeral. No photos, because it was my father-in-law. It's long and in German. But worth reading it if you are into a real colourful messy funeral... Other articles are in English as well! GERMAN, DEUTSCH: Eingestellt am April 25, 2006 03:39, aktualisiert am: April 25, 2006 03:46 Der gefledderte Schwiegervater Mein bizarrstes Erlebnis in Taiwan. Eine Fledderbeerdigung. Leider diesmal völlig ohne Fotos, weil ich schlecht knipsen konnte, während sich die vier Töchter darin überbieten, wer am lautesten Heulen konnte. Entschuldigung, wenn das pietätlos klingt, aber die ganze Veranstaltung war .... nicht wie eine Beerdigung bei uns. Da wurde gezerrt, gezogen und getragen, geheult (soweit normal), geflucht und gebacken, gesprungen und geschmettert; eine herrlich irrsinnige Veranstaltung in einer bizarren Fabrikumgebung. Das Rollkommando Der Vater meiner Frau war mit etwas über 60 zu Tode gestürzt. Auf ebener Fläche. Taiwanesen fliesen sehr gern und tragen sehr gerne Badelatschen, zu allen Tageszeiten und auch bei Kälte. Bürgersteige werden hier oft mit Mamor getäfelt und verwandeln sich bei Regen in spiegelglatte Todesfallen. Um auch den letzten Fussgänger zu kriegen, stellt man noch ein paar metallene Fussangeln auf, schwarz auf schwarz. Schwiegervater jedenfalls war mitsamt seiner Badelatschen auf den Fliesen ausgerutscht und hatte eine schwere Kopfverletzung davongetragen. Mitten im Eingangsbereich des Seniorenheims, wo er ehrenamtlich als Helfer tätig war. Frei nach Konfuzius ("kümmere dich ausschließlich um Familie und Freunde) haben ihn alle Leute den gesamten langen Tag lang ignoriert und sind über den Schwerverletzten hinweggestiegen. Schließlich begann ein langsamer Todekampf, sieben Jahre lang lag er zuhause im Bett in siechte vor sich in, bis hin zum "Gemüse", wie meine Frau sagte. Einmal verstorben lag er also im Krankenhausbett und auch ich, der Waiguoren kam dazu. Jetzt erwartet man, diskret herausgeführt zu werden, damit das Personal seine Arbeit verrichten kann und glaubt, den Toten alsbald nur noch mal im Sarge zu sehen. Doch weit gefehlt, plötzlich sind zwei schwarzgekleidete Herren da, alle fassen mit an und man bettet orangefarbene Laken mit Hakenkreuzen und altertümlichen Schriftzeichen (nicht die neuen) auf ihn. Noch ist er warm und transportabel, also geht es alsbald im Krankenwagen zum benachbarten Bestattungsunternehmen. Schachern ums Jenseits Man trägt ihn wieder raus aus dem Wagen, die ganze Familie fässt wieder mit an, und er liegt in einer Art Aufbahrungsgarage mit schauerlicher buddhistischer Trauermusik aus einem kleinen schwarzen Transistorgerät. Alle Heulen und Zähneklappern und er liegt da, tot aber irgendwie sah er jetzt besser aus als vorher im Leben. Seine Gesichtszüge entspannten sich langsam - oder lächelte der Mann, sich freuend endlich wieder Teil des Familientrubels zu sein? Preis zu teuer, ich den Bestattungsunternehmer abgelenkt, während andere den Leichnam unter den Arm klemmen und ihn wieder in einen herbeigerufenen Krankenwagen legen. Fahrer wirft eine Kassette in die Bordstereoanlage und es geht auf den dunklen Highway. Alle sind versammelt, Schwiegerpapa in der Mitte, aber statt Highway Sixty-Six dringt wieder Trauermusik aus dem Radio. Die Todesfabrik Die Fahrt endet auf einem Fabrikhof, überall Silotürme, Fabrikhallen. Merkwürdig. Alle fassen wieder mit an und man verfrachtet den toten Familienvater auf ein fahrbares Stahlbett. In einem Wartesaal sitzen unter sakralen Gemälden mit Mutter Maria und himmlichen Heerscharen unlaublich ungeflegte Gestalten. Betelnusskauende Männer mit viel zu knappen Oberteilen, damit man ihre tätowierten Muskeln besser sieht. Sie kauen Reisgebackenes und sprechen mit vollem Mund, während die Familie zähneklappert. Aus dem Lautsprecher dringt in Überlautstärke .... nein, diesmal der Rosarote Panther. Das schöne swinginge Saxophonstück, so völlig unpassend, dass die Szene wie ein modernes Theaterstück wirkt, wo Wagner in roten Unterhosen und mit Plastikpalmen aufgeführt wird. Wir schieben Väterchen schließlich einen gruselig langen Gang an den kleinen metallenen Leichenschubladen vorbei, wie man sie aus dem Krimi kennt. Ich fasse den armen Mann an, lege ihn in die Schublade und decke ihn zusammen mit meiner Frau mit seinem Hakenkreuztuchlein zu. Nein, er war kein Obersturmführer, sondern Zementvertreter, und das Kreuz ist halt überall ein Sonnensymbol. Wir schieben die Schublade zu, kalt klingt Metall auf Metall und machen uns auf den langen Weg zurück zum Musiksaal, noch immer dröhnt der Rosarote Panther durch den Bau. Ta ta, ta ta, tatatata... ta ta ta taaaaaaaaa aaaaaa aaaa... Wir zwei staksen unnatürlichen Schrittes, ich unwillkürlich im Rythmus der Mancini-Weise und meine Frau sagt: NICHT UMSEHEN! Unter keinen Umständen umsehen. Warum? Nun sonst folgt uns sein Geist zurück, das ist doch klar, erklärt sie mir. Papa muss jetzt tapfer sein und lernen allein zu bleiben, sagt sie mir. Da gruselt es mir, als ich mir vorstelle, so allein in einer Metallschublade verstaut zu werden. Und so gehen wir durch den dunklen Gang, begleitet vom Saxophon und der Jazzkombo und trauen uns nicht zurückzublicken. Ta ta, ta ta, tatatata... ta ta ta taaaaaaaaa aaaaaa aaaa... Das war's? Weit gefehlt. Lesen Sie in der nächsten Folge von "Die Todesfabrik": Der Wunderheiler, Beten bis die Knie wund sind, Riesenstäbchen und Blechtabletts Wie immer in diesem Theater. --------------------------Teil 2----------------------------- Der gefledderte Schwiegervater Teil 2 Weiter geht der Bestattungsreigen Erster Teil HIER. Schwiegervater lag also in seiner Schublade im Leichenschauhaus, doch es ist noch lang nicht vorbei. Meine Frau hat ihn jetzt regelmäßig besucht. Anfangs war ich dabei, wir ziehen die Schubade auf und da liegt er darinnen, jetzt schon etwas ... farblich verändert. Aber nicht wie im Horrorfilm fahl oder blau, sondern rötlich ins Lila abgleitend. Und er liegt anders da! Seine Decke ist verrutscht. Für einen Moment gruselt es mich, war er wirklich tot? Doch das war er sicher, die entspannte Muskulatur hat ihm nach Jahren des Liegens mit angezogenen Beinen endlich erlaubt, die Beine auszustrecken. Wir richten seine Hakenkreuzdecke (nicht aufregen, lieber Leser, sondern den ersten Teil recherchieren) und meine Frau redet mit ihm. Sie will ihn etwas bequemer hinlegen, doch das geht nicht mehr. Denn Vater ist jetzt.... ich habe es auch gefühlt .... starr wie das buchstäbliche Waschbrett. Ich gebe zu ich habe diesen direkten Kontakt mit dem Leichnam als unnötig und unangenehm empfunden, aber im Buddhismus ist der Tod nicht so tabuisiert wie bei uns. Wieder die Verabschiedung, auch ich sage kurz Bye Bye zu Schwiegerpapa und dann ermahnt mich meine Frau wieder, mich nicht umzusehen. Denn Papa hat jetzt die schwierige Phase seines ... Lebens ... erreicht, wo er von den Lieben Abschied nehmen muss. Und daher muss er zur Umgewöhnung erstmal etwas Zeit auf dem .... Bahnhof für die Verschiedenen verbringen. Denn bald geht er ein in die Geisterwelt, übrigens eine altchinesische Gesellschaft mit einer legendären Kaiserfigur an der Spitze nebst Heerscharen und einer riesigen Bevölkerung aus von ihren Ahnen gutversorgten satten Geistern und solchen, die hungrig und böse sind, weil sie keine Ahnen haben, die sie versorgen. . Was mich zu der Frage führt, ob denn dann nicht alle Geister irgendwann böse werden, mangels Opfergaben, aber lassen wir das hier. Geister mögen keine Erdbeerkekse Vater bekam seinen eigenen winzigen Opferaltar, weil eine billige Bestattungsstätte nur ein kleiner Stellplatz inmitten unzähliger anderer, in einer Art Halle, mit merkwürdiger Papierstatuette in der Mitte, einem plärrenden schwarzen Trauerradio mit Mönchsgejammer und unzähligen Opfergaben, darunter Getränke und Kekse, Obst und Garspeisen. Getränke wurden geöffnet, sonst trinkt es sich auch als Ätherischer etwas schlecht. Opfergaben in China kann man eigentlich wieder mitnehmen und selbst essen, weil die Geister oder Götter ja nur den Geist der Speisen essen, nicht den Körper. Zu meinem Leidwesen sind diese Verstorbenengaben aber eine Ausnahme, sie bleiben im Krematorium. Noch nie habe ich so viele leckere Kekse und Äpfel und Softdrinks auf einem Haufen gesehen, na ja abgesehen vom Supermarkt um die Ecke. Aber nur die Priester dürfen die Sachen .... wegwerfen oder anderweitig verbringen . Ich sollte die Lieblingskekse meines Schwiegervaters kaufen, damit er bekommt, was er am liebsten mag, aber ich habe schmählich versagt und Erdbeer-Schokokekse mitgebracht. Die mag er aber nicht, wirft meine Frau sofort ein. "Dann kann er ja vielleicht mit seinem Nachbarn tauschen", kam mir sofort in den Sinn, aber ich habe den Satz gerade noch verschlucken können. Keine Zeit für Trauer, Kofferpacken für den Toten In dieser Zeit fiel mir auf, dass meine Frau plötzlich keine Zeit mehr für Trauer hatte, im Gegenteil, sie wirkte ähnlich geschäftig, als wenn sie für uns eine Reise vorbereitet. Und richtig, seine sämtlichen Sachen wurden gepackt, alle Oberhemden und Hosen und Anzüge, ein paar Socken und Unterwäsche, Reiseproviant besorgt, nicht der mit Erdbeeren, und Geistergeld und Geisterschiffchen mussten besorgt werden. Geistergeld, in jedem Supermarkt Das im Totenreich Chinas bzw. Taiwans eine andere Währung herscht, das wussten Sie doch, oder? Im Tempel oder Geschäft kauft man das vergilbt wirkende Papier mit blattgoldenen Auflagen, sogenanntes Geistergeld. Man verbrennt es im Tempelofen oder eben auch im Opferofen auf diesem Totenairport (Krematorium) und durch seine Entstofflichung gelangt das Geld dann in die Hände des Verstorbenen. "Wozu braucht er soviel Zaster?" fragte ich da mein Weib. Und siehe da, im Jenseits herrscht himmelschreiende Korruption. Ältere Geister, insbesondere die fustrierten unversorgten, schieben sich vor die Neuankömmlinge und wollen ihnen den Durchgang durch die himmlischen Pforten versperren. Diese führen dann wohl zu einer Art höherem Jenseits, aber als junger Geist kommt der alte Mensch eben ersteinmal in dieses Fegefeuer. Und er braucht kleine Papierschiffchen, die man auch für teures Geld im Tempfel bekommt. Wozu? Na Mensch, für die Flüsse, denn das Geisterland hat als Kopie des richtigen Landes Flüsse und wie jeder Chinese weiß, kann ein Geist kein fließendes Wasser überqueren. Jedenfalls nicht ohne Schiff. Naja, ohne Schiff tue ich mich da ja auch meists schwer, da will ich mal nicht so hochnäsig sein. Die Geister haben ihm übrigens ständig Geld und Essen abgenommen und ihn lange nicht an die Pforten gelassen, das hat er meiner Frau im Zwiegespräch vor dem Opferaltar gesagt. Da konnte er je nach Münzwurf mit Ja und Nein antworten. Verzweifelt hat ihm meine Frau schließlich echte 4000 Taiwandollar (durch 40 teilen für Euro) verbrannt, weil die in der Geisterwelt viel viel mehr Wert sind. Da kamen auch mir die Tränen... Später mehr, wenn nicht schon alle schnarchen... ------------------------Teil 3---------------------------------- Schwiegervaters Himmelfahrt 3 Es wird Zeit, den letzten Schritt zu tun Wer den Anfang von Schwiegervaters taiwanesischer Bestattung nicht kennt, kann Teil2 und Teil1 rücklesen. Zwischendurch hatten wir jetzt einen kleinen Altar aufgebaut, prächtig mit Opfergaben geschmückt, nämlich ein totes Huhn in nackert toter Form, die toten Augen ungläubig in den Raum starrend (die garkochen ein ganzes Huhn inklusiver optischer Sensoren, aber wenigstens ohne Federfell), diversem Obst und einkonservter Getränke. Indische Götter, nur echt mit Punkt Den Altar schmückten drei große Götterbilder, dicke Männer und Frauen mit riesigen Ohrläppchen und langen Nasen. Von heller Haut, aber unverkennbar den indischen Kastenpunkt mitten auf der Stirn. Ich erwähnte an dieser Stelle meiner Frau gegenüber, dass ihre chinesischen Götter ja ursprünglich aus Indien kämen, der Punkt sei Beweis, aber das hat mir natürlich eine Standpauke eingetragen von wegen 5000 Jahre plus Kultur und Indien, was wissen die denn schon. Ja, es ist halt a Kreuz mit diesen Copyrightfragen. Im Ernst kann man ergoogeln, dass mehrere der 500 chinesischen Götter auf indische Gottheiten zurückgehen. Gut, orange Priester und Damen in schwarzen Trauergewändern schlagen stundenlang einen Holzgong und lesen im rythmischen Singsang aus Trauerbüchern vor und ich füge, wie andere Verwandte auch, an passender Stelle (aua! Tritt mich nicht immer, ich weiß jetzt kommt mein Einsatz) meinen Namen ein. Nebst Adresse. Zu Ende gehuldigt und am nächsten Tag finden wir uns in einer großen Halle wieder, wo Schwiegerpapa einen riesigen Blumenaltar hat, eine große Pflanzenwand, und sein Portrait gnädig auf die versammelte Trauergemeinde, nur seine Familie, herunterlächelt. Mein Weibe ermahnt mich noch, unterwegs keine Bilder von fremden Toten anzusehen, da uns diese Seelen sonst folgen würden. Nun war aber in Halle 12 so ein fesches Frauenzimmer, gerade mal 30, vielleicht hatte sie ja einen Autounfall oder gnädigen Föhntod in der Wanne, da denke ich mir, so ein fescher Geist zu nächtlicher Stunde ist manchmal garnicht so schlimm... Aber gut, zurück zu Schwiegervater. Himmlische Reigen Irgendjemand redet und redet und nach endloser Zeit führt uns ein Tempelpriester zurück zu den drei indischen Götterbildern, jetzt auch in der großen Halle. Er hat einen grünen Zweig in der Hand und a la Party-Polonaise (schreibt man die so?) rast die ganze Familie quer durch die Halle, dem zweigwinkenden orangen Priester hinterher. Hat irgendjemand in letzter Zeit diesen Komiker mit dem Gummiadler gesehen, der im deutschen Fernsehen immer seine Polonaise aufgeführt hat? Das Ding hat verdächtig dem Opfertier geähnelt. Wie dem auch sei, der Priester schickt uns in wilden Kurven durch die Halle und jetzt fällt mir auf, dass er dabei einen Teekessel schwenkt. Schwiegervater geheilt ! Jetzt geht es in rauschender Fahrt raus aus der Halle auf den Vorplatz und mir ist schon ganz schwindelig und .... PENG. Laut scheppernd fällt dem Priester der Teekessel aus der Hand und er zerschlägt in tausend Scherben springend auf dem Pflaster. Ich will ihn gerade anbrüllen, von wegen du pietätloser Depp, da erklärt mir meine Frau: Schwiegervater ist jetzt geheilt. Aber, sage ich, Schwiegerpapa ist doch immernoch mausetot, kein noch so winziges Zucken umspielt seinen fahlen Mund. Ich sehe ihn da ja liegen, gleich neben dem nichtindischen Altar, mit oranger Hakenkreuzdecke. "Jaaaa", sagt sie gedehnt, mit dem selben Gesichtsausdruck, den ein Versicherungsvertreter hat, der dir erklärt, wieso eine 1.5%ige Rendite bei der Lebensversicherung viel besser ist als die lappigen 5% beim Wertpapier auf der Bank; "jaaaaa schon", freilich, aber ... "Er ist ja an einer Krankheit gestorben. Und von der ist er jetzt geheilt." Tot aber gesund, das muss den Buddhisten erstmal einer nachmachen. Teer und Federn ... tauchen nicht in dieser Angelegenheit auf, aber kurz zog mir so durch den Kopf, dass wohl manch ein buddhistischer Prediger im wilden Westen mit dieser Quaksalberei ein unrühmliches Ende gefunden haben muss. Gut, nun zum Abschluss. Nächster und übernächster Tag, er ist ja gut gekühlt wieder im Kühlfach, eine kleinere Halle, ein kleinerer Blumenaltar. Ein Opfertisch mit kleinem Papierhaus und Papierauto und Papierstereoanlage etc. für das Leben im Jenseits. Papier-PDA und Papierhandy gibt es auch, aber so neumodisch war Schwiegerpapa nicht. Beet und beet und letztlich die Abschlussveranstaltung mit dem mittleren Altar und vielen vielen Freunden und bekannten und Familie, die alle den Waiguorenausländer bestaunen, Papa wird noch einmal herumgeführt, wir alle auf Knien und heulen. Geld in den Sarg gesteckt, ich werfe es natürlich vor Hast auf den Boden. Sarg zum Krämatorium getragen und .... Weiter geht es mit dem Reigen, so eine Taiwanbestattung nimmt nie ein Ende, aber lassen wir es für heute mal gut sein....... ---------------------------Teil 4-----------------------------------------------------

Keine Kommentare: