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Freitag, Januar 07, 2011

Ludigel vor Gericht in Taiwan

Nein Gott sei Dank nur als Besucher einer Gerichtsverhandlung in Taipei, Taiwan, am gestrigen Morgen. Vor (dem) Gericht (sitzend) also. Viele Besucherplätze gibt es gar nicht, man lässt nur Anverwandte der Prozessteilnehmer rein scheinbar. Der Gerichtssaal war groß wie ein Klassenzimmer, hübsch holzgetäfelt und modern mit Computerdisplays, auch draußen zeigt Windows XP in chinesischen Schriftzeichen an, was innen vorgeht. Die Richterin und ihre beiden Beisitzer, eine Frau und ein Mann, saßen auf einer deutlich erhöhten Richterbank, in schwarzen Roben mit knallblauem Deko als Zeichen des Richterstandes. Ein Waagensymbol über der vorsitzenden Richterin macht deutlich, dass hier Justizia auch am östlichen Tellerrand der Weltscheibe, östlich vom fernen Osten sozusagen, sorgsam abwägen wird. Im Mittelteil die um 90 Grad versetzten Schreibtische von Verteidiger (links) und Staatsanwalt (rechts), beide vor Computerterminals sitzend, wie auch die ganze Riege der Gerichtshelfer und Protokollanten vor den Richtern. Der Staatsanwalt, der nur selten, aber dann mir ruhiger und sanfter Stimme spricht, hat pinkfarbenes Desko auf der schwarzen Robe, der Verteidiger graues.

Gestern Tote beim Mittagsschlaf, heute humpelnde Gangsterbräute. Alles im Taiwanblog aus der Tailightzone des Wahnsinns am Tellerrand der Weltscheibe.


Auf der Zeugenbank neben dem Staatsanwalt eine ältere Dame, ein Mann um die Dreißig und ... meine Schwiegermutter. Alle drei Opfer einer Telefonbetrügerbande, eine Betrügerei, über die hier im Blog schon öfter berichtet wurde (zu letzt HIER: Link). Die Kurzfassung der Geschichte: Schwiegermutter wurde vor etwa einem Jahr sowohl auf Festnetz als auch auf Handy von falschen Polizisten angerufen, die ihr eine Haftstrafe (für "die alte Geschichte, na sie wissen schon, damals.....") androhten. Natürlich gab es keine "alte Geschichte", aber wir haben bei dieser Sache gemerkt, dass die Mutter meiner Frau nun scheinbar gehörig geistig abgebaut hat, denn sie ließ sich zu einem Geldautomaten buchsieren, an dem ein Teenager wartete. Diesem übergab sie das schnell von der Bank abgehobene gesamte Geld auf ihrem Konto, immerhin 25.000 Euro umgerechnet, eine Million Taiwandollar. Da kann man hier viel Reis für kaufen. Ein paar Stunden später erschien "ein Polizist" in ihrer Wohnung, ob echt oder falsch wurde nie geklärt, und erkundigte sich bei Schwiegermama, ob alles in Ordnung sei, was sie verschüchtert bejahte. Echter Sherrif? Korrumpiert? Oder auch Gangster?


Erst drei Monate später berichtete Schwiegermama von dem Fall, nämlich als sie eine kleine Arztrechnung nicht mehr bezahlen konnte. Sie ging zur Polizei und erhielt eine Anzeigebestätigung samt Aktenzeichen. Allerdings rief meine Frau zur Probe bei der Polizei an und erkundigte sich nach dem Aktzenzeichen, welches aber nicht exisitierte! Der Polizist hatte die Anzeige einfach weggeworfen. Also musste Schwiegermama erneut auf die Wache um dem uniformierten Clown dort alles noch einmal zu erzählen. Diesmal nahm Justizia seinen Lauf. Der Teenager wurde gefasst und ist schon verurteilt in der Zwischenzeit, Jugendverfahren und Strafmaß kennen wir nicht, nur 250 Euro Wiedergutmachung hat er angeboten, was Schwiegermama abgelehnt hat. Er hat das Geld an seine Chefs weitergereicht, war nur der Laufbursche der Bande. Meine Frau und Schwiegermama planen, ihn noch große Teile seines nichtsnutzigen Lebens mit Zivilverfahren in der Sache zu überziehen.

Ach ja, die Anzeigeerstattung führte dazu, dass das Gericht meiner Schwiegermama eine irrgeleitete Haftantrittsaufforderung zustellte, aber für eine Jugendsstrafanstalt und an einen jungen Mann gerichtet. Auch so ein wirrer Teil der Geschichte, der nie geklärt wurde.Einschüchterungsversuch durch korrupte Staatsdiener? Zufall? Der Name des jungen Mannes war nicht der des Geldboten. Wirr, wirr, eben Taiwan.

Nun die Überraschung, die Polizei hatte nun auch noch die ganze Bande geschnappt inklusive Hintermänner, auf der Anklagebank saßen zwei Schlägertypen, kurze Haare, die in Handschellen von zwei wachsamen Polizisten hereingeführt wurden (den modischen Kurzhaarschnitt gibt es im Knast gratis), mit typischen Unterschicht-Visagen, gerade bei einem glotzen Dummheit und Gewaltbereitschaft aus dem Gesichtchen.
Dann das Fußvolk, ein ungepflegt wirkender junger Mann um die 18 mit dümmlichem Pferdegesicht und zwei völlig normal aussehende Bengel um die 20. Dazu eine dralle Frau mit rotgefärbten Haaren, drall nur nach Taiwanmaßstäben und daher sicher nicht unattraktiv aussehend. Irgendwie muss der jüngere Mann unter den Geschädigten ja auch sein Geld losgeworden sein. Ganz hinten dann die Köpfe der Bande, zwei junge Männer Ende Zwanzig, elegant in teuer aussehende Seiden-Trainingsanzüge mit Markenemblem gekleidet, einer von angenehmem Äußeren mit falschen rotblonden Haaren, der andere ein ebenso gefärbter Kerl mit nasaler Sprechweise und eng beieinander stehenden Augen, das Reichskriminologielexikon von 1935 weist ihn damit als Verbrechertypen aus, auch sein schneeweißes Blouson von Nike konnte da nicht wirklich drüber hinwegtäuschen. Selbst die Sportschuhe der Typen sahen teuer aus.

Hinter unserem weißen Unschuldslamm, das wir zu diesem Zeitpunkt nicht mehr für unschuldig halten brauchten, weil die ganze Bande vor der Polizei bereits gestanden hatte, seine Freundin. Eine zierliche kleine Frau mit dem üblichen niedlichen Gesicht, allerdings etwas überschminkt und mit duftenden knallroten falschen Locken. Geld für den Friseur haben sie ja. Nur ihr Trainingsanzug wirkte richtig schäbig, ihr Macker kleidet sich halt lieber selbst modisch.

Der Staatsanwalt ließ durch den Gerichtsdiener mehr pro Forma versiegelte Kisten öffnen, die wohl Schriftstücke und Geräte enthielten als Beweismittel. Gestanden hatten sie wie gesagt eh schon, das soll Beschuldigten öfter mal in taiwanesischen Wachen so gehen. Der Prozess erinnerte dann auch ein bisschen an eine Gerichtsverhandlung aus "Cardassia" bei Star Trek, sie wissen schon, wo eh alles schon vorher fest steht. Der Verteidiger schwieg fast immer, nur ein einziges Mal sagte er etwas im Verfahren, um dem näselnden Angeklagten in Weiß sanft das Wort abzuschneiden, als er sich in einen fast weinerlichen Singsang hinein gesteigert hatte. Meine Frau übersetze mir mit "Bitte geben Sie mir noch eine Chance...". Die Richterin, eine Frau um die 40 mit majestätisch wirkender Lockenfrisur (so weit oben glänzen die Haare im Licht der Lampe) schmetterte ihm eine wütende Entgegnung entgegen, die laut meiner Frau lautete "Und welche Chance haben die alten Leute? Und wenn jetzt die Polizei irgendwo anruft dann glauben die Bürger wegen solcher Leute wie Sie es sei ein Betrugsanruf und legen auf!). Lange schimpfte die Richterin, ihre Augen blitzten und ich, als mit einer Taiwanesin in der selben Altersgruppe Verheirateter, wurde automatisch ganz klein auf meinem Sitz.
Die ältere Dame um die 80 und meine Schwiegermama (um die 70) wurden vernommen, leider hatte Schwiegermutter nicht viel zu sagen und konnte sich an fast nichts erinnern. Alte Leute werden leicht zu unfreiwilligen Komplizen ihrer Täter. Sie redete von einer Quittung, die die Täter ihr gegeben haben, die sie aber nicht dabei hätte. Also wurde sie abkommandiert mit dem Taxi schnell nach Hause zu fahren und das Papier zu suchen. Meine Frau konferierte kurz mit der Richterin, von hinten von der Zuschauerbank und ich wurde von Frau abgestellt, Schwiegermama zu begleiten. Da fragte die Richterin, wer jetzt der Ausländer da ist und wieso er der Zeugin folgt, aber da wurde ich auch noch schnell vorgestellt. Im Entengang schritten Schwiegermutter und ich unter den Augen von Gangstern und Gericht zur Türe und ich konnte mir einen kleinen hochgerechten Daumen in Richtung Richtertribüne nicht verkneifen. Man ist dem Ausländerruf hier ja was schuldig.

Das Papier fand sich nicht, aber das Verfahren nahm nach Ankunft von Ausländer und Schwiegermutter seinen Fortgang, der Verteidiger hielt ein kurzes Plädoyer, der Staatsanwalt entweder ein super kurzes oder gar keins, dann sprach die Richterin die ganze Truppe schuldig (sofern das noch nötig war) und gab den Angeklagten Zeit, bis zum 31. Januar Geld an meine Schwiegermutter zu überweisen, dann würde das Urteil milder ausfallen, sonst höher.

Wir alle gingen aus dem Gerichtsaal, das weiße Seidenblouson konferierte mit rothaariger Freundin und Anwalt auf dem Flur und später sah ich ihn in Richtung eines aufgetakelten weißen Honda Civics entschwinden. Seine Freundin humpelte ihm zwanzig Meter hinterher, sie humpelte buchstäblich und er blickte durch die Beifahrertür des Hondas, keiner drin, und schlappte dann die Reihe geparkter Mopeds entlang. Vielleicht ist ja eines nicht abgeschlossen. Die kleine Gangsterbraut humpelte ihm traurig hinterdrein. Niedlicher Hintern in der Trainingshose. Tja, wenn sie so ein trauriges Leben will....

Wir rechnen natürlich nicht damit, dass irgendetwas von dem Geld jemals zurück kommt.

P.S.: Der Herr auf der Zeugenbank war vielleicht auch nur ein Sachverständiger ;-)

4 Kommentare:

Miri hat gesagt…

Keine Panik wegen der Jogginghose, war vermutl. nur Show, um einen auf bedürftig zu machen, der Mann nimmt alles auf sich und spielt den Kotzbrocken, um sie zu schützen. ;-) Vlt. arbeitet die Partnerin des Hauptangeklagten ja nebenbei noch als Messehostess? Vlt. ist sie ja in Wirklichkeit der Boss? ;-) Wir hatten im Schwerpunkt StrafR Medientraining und Prozessstrategie und haben ansatzweise so einiges beigebracht bekommen, man kann danach einfach nicht anders, als so etwas zu denken... ;-)

Interessanter Bericht. Ich glaube, ich mache meine Wahlstation in T bei der Richterin .... ;-) Wir hatten neulich Ri Alexander Hold und Team zu Gast in der Uni. Seine Gerichtsshows im Fernsehen (er ist beurlaubt)kommen dem partiell sehr nahe. Mein Ersitutor hat auch schon mal als Laiendarsteller (böser Angeklagter) mitgewirkt. Er hat sein Jurastudium schon lange abgebrochen und irgendwann in der Babypause schaute ich mal TV und sah ihn in der Show. Hatte irgendwie was Angst auslösendes. Zum Glück bin ich ja mittlerweile wieder voll dabei. Ri Hold ist ein sehr guter Jurist und versucht neben der Unterhaltung immer noch Didaktik zu liefern und ist mitunter sogar ziemlich ironisch. Frauen lieben ihn irgendwie, er hat eine gewisse Ausstrahlung und ist sehr medientauglich.

Patrick_Secret hat gesagt…

saubande ...
meine Frau hat mir auch shcon öfters von jungen Taiwanesinen erzählt die Geld für ein "Geschenk" für eine Internetbekanntschaft ins Ausland transferieren usw.. Und dann aus allen Wolken fallen wenn sie merken das es Betrug ist.. Kommt auch alle Monate mal im Taiwan TV also vorsicht bei den lao wai bf s ;-)

"Ludigel" hat gesagt…

Miri, danke für das Feedback, in der weiß man garnicht, wer da wirklich welche Rolle hat.

Anonym hat gesagt…

Lu Er Fu sagt:
Meine bessere Hälfte schätzt ca. 3 Jahre gesiebte Luft für die Konsorten. Wie immer hängt das von der Richterin ab. Sympathie, Eloquenz, Reue und Geständigkeit usw. Wie bei Richter Hold. So ws kommt scheinbar fast jeden Tag vor. Naja, es mag an dem Alter deiner Schwiegermutter liegen. Aber ansonsten sollte ja der gesunde Menschenverstand einschalten.