Dieses Blog durchsuchen

Montag, Januar 16, 2012

Wahl auf der Veranda

Nun ist sie gelaufen, die Präsidentschaftswahl in Taiwan 2012. Auch das Parlament ist mitgewählt worden und Amtsinhaber Ma Ying-Jeou (KMT) ist mit etwa 52% im Amt bestätigt worden und siegte deutlich vor der Herausforderin Tsai Ingwen (DPP), die gerne nicht nur die erste demokratisch gewählte Präsidentin der Republik-China-auf-Taiwan (wie man den Staat nennen könnte, der hier am Samstag gewählt hat) geworden wäre, sondern auch die erste Frau im Präsidentenamt dieses Staates überhaupt. Und sieht man "Taiwan", wie man den Staat nennt, der eigentlich formal "Republik China" heißt, als China an, dann wäre sie damit die erste Frau an der Spitze eines chinesischen Staates seit den Anfängen der Zivilisation geworden - gerne reibt mir meine Frau ja die 5000jährige Geschichte Taiwans unter die Nase. Aber Pustekuchen. Ihre Partei, die DPP, steht für ein in Frage Stellen der guten Beziehungen zu China, für ein Streichen des Wortes China aus Verfassung und Staatsname, aber auch für Demokratie und Freiheit, denn einst hatte die DPP gegen die damals diktatorische KMT angekämpft und einer ihrer Führer, der Anwalt Chen Shui-Bian, ging dafür ins Gefängnis, seine Frau wurde von einem vermutlich von KMT-Sympathisanten geschickten LKW mehrfach überrollt und sitzt heute im Rollstuhl. Allerdings war der selbe Chen 2000-2008 Präsident und sitzt heute wegen Korruption im Gefängnis und seine Frau hat manch einen vom Staate finanzierten Diamantring zu viel am Finger gehabt. Der Lack ist ein bisschen ab bei der DPP-Opposition und so wurde Ma im Amt bestätigt. Ma stand scheinbar 2008-2010 für eine Turbo-Vereinigung mit China, so als solle Taiwan eine Provinz der Volksrepublik werden seiner Meinung nach, doch 2011 war plötzlich wieder Ruhe im Karton. Ich bin verwirrt, steht Präsident Ma jetzt für Ausverkauf Taiwans an China oder doch wieder für die alte Parteilinie der KMT, den sogenannten Status Quo? Will sagen Taiwan ist irgendwie China aber ein eigener Staat und am besten redet man nicht groß drüber.

Stolz können die Taiwaner auf ihr Land jedenfalls sein. Die Insel (mit ein paar kleineren drumherum) ist etwa so groß wie Schleswig-Holstein, hat 23 Millionen Menschen und ist reich und durchtechnisiert. Und hier im Norden atmet sie chinesische Kultur mit Einflüssen aus den USA und Japan. Die Hauptstadt Taipei mit ihrer chinesisch dominierten Kultur scheint so etwas wie ein besseres China zu sein. Selbstbewusster, friedlicher, wohlhabender, freundlicher. Little China mit Zuckerguss und Kirsche.

 Obacht: Taiwan ist das bessere China. Wenn es denn China ist.

Der Unterschied zu China ist die parlamentarische Demokratie und der Pluralismus, den der KMT-Abweichler Lee Teng Hui, der ähnlich wie Gorbatschow eine Demokratisierung der diktatorisch geführten Insel vom Präsidentenamt aus einleitete, eingeführt hat. Im Jahre 1992 gab es erste freie Wahlen und daher konnte meine Frau diesen Samstag wieder ins Wahllokal. Die Schule war es diesmal nicht, wie sonst alle Jahre, sondern witzigerweise die Veranda einer Erdgeschosswohnung. In der schmalen Gasse standen die Menschen diszipliniert Schlange, ein Polizist blickte auf das Treiben (hoffentlich konnte der auch wählen) und fleißige Wahlhelfer halfen den Menschen sich richtig anzustellen. Unbeschreiblich voll war die kleine Veranda, aber alle waren in Schlangen ordnungsgemäß eingeteilt. Eine für den Wahlzettel und dann die große nächste Schlange für eine der zwei Wahlkabinen, dann wieder die kleine Schlange um den Wahlzettel unter den Augen einer Wahlhelferin in die versiegelte Urne zu tun. Philippinische Dienstmädchen fuhren kichernd alte taiwanische Menschen mit dem Rollstuhl ins Wahllokal. Krachend schlug das Fußbrett gegen die Wand, denn die Veranda war viel zu klein. Doch mit großer Ernsthaftigkeit übten die Taiwaner ihre Souveränität aus, nur eine einzige alte Frau kam schimpfend aus dem Wahllokal und alle ignorierten sie und guckten angestrengt geradeaus, während sie herumschrie. Vielleicht war sie sauer dass Generalissimus Chiang-Kai Chek (KMT) aus der Gründerzeit nicht mehr auf dem Zettel stand. Na, der hätte bei so viel ehrlich vergebenen Parlamentssitzen gleich mal in der Kaserne angerufen. Denn unter ihm gab es so einen Trick, dass nur die Parlamentssitze frei vergeben wurden, die nicht zu den 1949 verloren gegangen Wahlkreisen auf dem chinesischen Festland gehörten. Letztere waren für die KMT fest abonniert, schließlich konnten die Wähler auf dem Festland nicht mehr mitwählen, deshalb galt das Ergebnis der letzten Wahl für diese Sitze. Raffiniert, gell?
Heute ist das alles Geschichte. Fotos zu machen habe ich mich nicht getraut, jedoch hat Klaus Bardenhagen, deutscher Journalist in Taipei, ebensolche in seinem Blog: http://www.intaiwan.de/2012/01/15/ein-paar-sekunden-tagesschau-presseschau-am-tag-nach-der-taiwan-wahl/

3 Kommentare:

Fehler-Reparator hat gesagt…

Die ersten freien Wahlen auf Chinesisch Taiwan waren am 23 März 1996, nett 1992.

"Ludigel" hat gesagt…

Manche Fehler sind gar keine, sondern Missverständnisse ;-) 1992 erste freie Parlamentswahl, 1996 erste freie Präsidentschaftswahl. Die Nationalversammlung genau genommen war es (http://de.wikipedia.org/wiki/Kuomintang).

Drakonischer Zyniker hat gesagt…

Fragen wir doch mal, ob sie ihre 92er-Wahl nachträglich wieder für unfrei erklären, damit es für uns einfacher wird hier.