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Mittwoch, Januar 04, 2012

Nette Eingeborene, wütende Eigeborene (Update)

Taiwaner heißen Ausländer in Taiwan fast immer freundlich willkommen. Erst vor ein paar Tagen saß ich im Wartezimmer im Krankenhaus in Taiwan (das KH wird hier eher wie eine Arztpraxis benutzt und man kommt auch mit dem verstauchten Zehennagel hierhier), da fragt mich ein Herr auf Englisch, ob ich Hilfe brauche, was ich natürlich verneint habe. Weil er einen Ausländer sah, wollte er also gleich sicherstellen, dass er weiß was er wo machen muss und keine Sprachbarriere im Wege ist!

 Blick runter von Ludigels Balkon: Da unten herrscht konfuzianlische Logik, also etwas, wofür man in Teutschland und den US of A mit Medikamenten behandelt würde.


Unheimlich ist, wie sehr sich diese sonst meist netten Leute im Straßenverkehr aufregen. Das ist ein Gebiet wo sie ihrem aufgestauten Frust (Taiwaner sind sehr gehorsam Chefs und älteren Brüdern und Eltern gegenüber!) gnadenlos rauslassen. Ein Ausländer hat hier den Fehler gemacht, eine taiwanische Familie anzumotzen, die ihre Kinder ohne Helm auf dem Moped mitnahm (http://www.taipeitimes.com/News/editorials/archives/2011/12/21/2003521244/1). In der Folge wird der Ausländer von mehreren Taiwanern angegriffen. Was ist passiert?


Fehler Nr.1: Einmischen. Konfuzius sagt, Familie und Freunde sind wichtig. In der Taiwan/Chinakultur setzt man ein "nur" davor. Man mischt sich bei Fremden eigentlich nie ein.

Fehler Nr.2: Schimpfen. Das Gesichtwahren ist hier das Wichtigste. Der Mann verliert vor Frau und Kindern das Gesicht, das kann manche zum Ausrasten bringen. Und erhobene Stimme signalisiert in Taiwan, das man kurz vor Ausrasten ist und vielleicht sogar zuschlagen wird. Also fühlte sich der Taiwaner vielleicht sogar vom aufgeregt sprechenden Ausländer bedroht. Schließlich spricht man meist ruhig damit alle das Gesicht wahren können.

Fehler Nr.3: Der Ausländer lässt den Einheimischen telefonieren. Taiwaner sind Gruppenwesen und telefonieren in bedrohlichen Situationen grundsätzlich mehrere Freunde herbei, die auch sofort kommen. Und dann ist jedwede Rationalität verloren. In der Folge wird der Ausländer eine Weile später offenbar von zwei Freunden des angesprochenen Mannes mit einem Backstein von hinten auf den Kopf geschlagen, als er nichtsahnend seines Weges geht. Taiwaner haben nicht diesen individuellen Ehrkodex aus den Winnetou-Serien, sondern greifen nur an, wenn sie sicher sind, alles auf ihrer Seite zu haben. Also mit Samuraischwert plötzlich aus dem Auto gezogen oder von hinten mit mehreren Freunden.

Fehler Nr.4: Taiwaner erziehen zu wollen. Hier sind 23 Millionen Menschen komplett anders als der Deutsche oder US-Amerikaner als Neuankömmling so denkt. Die ganze Insel hat pro Moped den Fahrer und vielleicht noch seine Frau mit Helm, aber 2 bis 3 Kleinkinder und ein Baby ohne Helm auf dem Ding. Und dann wird richtig Gas gegeben. Es ist ihre Insel und ihr Recht das so zu machen. Ich predige immer den Newbies: Einheimische ignorieren, dann passiert nix. Meine Frau wundert sich manchmal, das sie alles dreimal sagen muss...

Und hier noch ein netter Mopedunfall: http://www.liveleak.com/view?i=0cb_1324995632
Mopeds rasen immer und überall ohne Verkehrsregeln durch die Gegend, Sicherheitsdenken hat man hier kaum. Eben eine andere Welt.

http://www.liveleak.com/view?i=b10_1314547080
http://www.liveleak.com/view?i=0b7_1314028208
http://www.liveleak.com/view?i=3df_1315148312

Alles in Forumosa.com gefunden. Und immer wieder nett dies Rumklugsch___ern wenn andere eine Fehler gemacht haben, grins.



***



Update: Die entsprechende Diskussion im Ausländerforum (http://www.forumosa.com/taiwan/viewtopic.php?f=8&t=105864) geht bei vielen schnell in die Richtung Taiwan-Bashing, passend zum Titel des ursprünglichen Aufsatzes über den Vorfall (Living in fear/Leben in Angst) wird Taiwan als brandgefährliches Land dargestellt, mit hoher Mord- und Totschlagsrate (mehr als dreimal so hoch wie Deutschland lt. einer Statistik*) und wo die Menschen sehr gewaltbereit sind. Muss man in Taiwan mit Pfefferspray, Samuraischwert und Darth-Vader-Helm durch die Gegend laufen?

Nun, bei Smog könnte die Atemmaske aus dem Helm nicht schaden und in der Tat kann man durch obszöne Gesten, wenn einem Ah Huang landestypisch mit dem Toyota bei linksabbiegen in einer neu aufgemachten zweiten Linksabbiegerspur einfach vor den Wagen fährt und den Weg abschneidet, schnell in eine Prügelei auf der Kreuzung kommen. Hier heißt es, sich an den Reaktionen der Einheimischen orientieren. Am besten garnicht oder mal kurz hupen, was eh ignoriert wird. Alle machen es so, also muss man es akzeptieren.

Und Überfälle gibt es so gut wie keine in Taiwan, "Living in fear" ist also Unsinn.

Der Ausländer in dem Vorfall oben hat Inländern ihre landestypische Verhaltensweise (nämlich mit Hund, Frau und drei Kindern ohne Helm auf dem Moped zu fahren und nur Papa und meist noch Mama haben Helme**) vorgeworfen. Und das ohne Anlass für ihn, ohne Verwicklung in irgendwelches Geschehen einer fremden Familie. Und det gibt überall schnell Ärger.

* Allerdings zählen in Taiwan Verkehrsunfälle mit Todesfolge schnell als Totschlag, in Deutschland nicht.
** Wenn ich mal einen Hund mit Helm auf dem Moped sehe, dann meckere ich nie wieder!

4 Kommentare:

Drakonischer Zyniker hat gesagt…

Neulich habe ich einem Mopedfahrer in die Eier getreten, ihm dann das Rücklicht zerschlagen und ihm mit seinem Telefon die Zähne ausgeschlagen. Unglaublicherweise hat er daraufhin ein grimmiges Gesicht gemacht. Verdammte Eingeborene mit ihren fernöstlich-geheimnisvollen Verhaltensweisen

TG hat gesagt…

Der Ausländer hat in diesem Fall alles Richtig und gleichzeitig alles Falsch gemacht.

Wirklich toller Beitrag, hat spaß gemacht zu lesen.

"Ludigel" hat gesagt…

Danke. Die Geschichte erinnerte mich an den Fall eines gewissen Paul C. aus Kanada, das muss 2004 oder 2005 gewesen sein. Der weiße junge Mann wurde im TV zur Primetime gezeigt, mit Handschellen an einen Stuhl auf dem Polizeirevier gefesselt und eine Poitikerin ist erschienen und hat ihn vor laufender Kamera geohrfeigt (und er hat geweint). Was war passiert? Er hatte gesehen, wie eine Indonesierin oder Phillipina Dienstmagd von ihrem Arbeitgeber auf dem Balkon einer Privatwohnung sexuell belästigt wurde und sich wehrte. Er rief die Polizei, die lachten und taten nichts. Später trank er ein Glas wein und ging ermutigt mit der Videokamera auf die Polizeiwache, um die Untätigkeit der Beamten zu filmen. Die wollten ihn rausschmeißen, er stieß einen Polizisten leicht an um seinen Standort zu verteidigen und.... s.o.
Er hatte im Prinzip Recht, aber so wird das nix im Ausland mit Sprachbarriere und völlig fremden Aussehen.

"Ludigel" hat gesagt…

... Paul C. verließ das Land nach Nacht in der Zelle und die Dienstmagd wurde ausgewiesen, weil sie keine richtigen Papiere hatte oder so.