Der Nachbarschaftstratsch meldet den Verkehrstod eines kleinen Kindes, etwa 50 Meter max von meiner Haustür in NeiHu, Taipei, Taiwan.
Wir wohnen seit meiner Rückkehr nach Taipei im März in einer Mietwohnungsanlage, die zu den besseren der oft slumartigen Wohnblöcke bei uns in der Gegend gehört. Ein sehr breiter Bürgersteig ist bei uns vorm Haus, richtig eine Oase an der lokalen Hauptstraße. Und Grün gibt es bei uns im Innenhof.
Gehe ich aber 30 Meter nach links, fängt eine Budenzeile aus zeltartigen Verkaufsstellen an. Die schlimmsten sind schon weg. Seit sich die Verkehrspolizei bei uns seit zwei Jahren oder so für Falschparker interessiert und man immer wieder Polizisten auf Mopeds sieht, verschwand auch die Horrorbude unter den Verkaufsstellen. Das war ein düsteres stinkendes Zelt, in dem braungrün-verklebte Hühner in Käfigen vor sich hin schimmelten und einen entsetzlichen Gestank verbreiteten und ihre blau angelaufenen Leichenteile ungekühlt in der Sonne auf einem Tisch schmorten. Alte Frauen sahen sich interessiert die abgehackten Beine samt Krallen an und nickten dazu einfrig, während sie die Münzen aus ihren Geldbörsen holten. Lange Jahre war der Bürgersteig eklig schmal und so hielt ich meist die Luft an, wenn ich dort vorbei ging.
anderer Fall, selbe Ladenzeile: reglose Frau, Unfallfahrer beim Fotografieren
Heute ist der Bürgersteig verbreitert und der Horrorstand weg. Aber es gibt immer noch die Fischverwesung gleich neben an, wo in der prallen Sonne und Abgasluft direkt auf Auspuffhöhe Fische mit etwas Eis vor sich hin stinken. Dort an dem Fischstand war immer eine ganze Familie versammelt, die den etwa 2 Meter breiten Bürgersteig (gleichzeitig illegal Parkstreifen für Autos, Mopeds und quer gestellte Fahrräder) zu ihrem Spielhof erklärt hat. Wohl drei Kinder im Alter von 2-5 oder dergleichen spielten dort mit Wasserbecken aus Styropor, sowie die Fische raus waren, fuhren Dreirad uns spielten Ball. Direkt an der Fahrbahn, wo an der viel befahrenen Straße Autos mit eher 50 und 60 als den auf die Fahrbahn gemalten 30 durchfahren. Oft ging ich dort lang und dachte: "Wie gefährlich!" Wenn so ein Kleinkind mit dem Dreirad nah an den Fahrbahnrand fährt und die ganze Familie vor sich hin grinst und die Fische wäscht. Oder Radio hört. Handies hatten sie in der Familie wohl mal nicht, an denen man sonst in Taiwan die dreiviertel Lebenszeit seit 2010 verbringt. Aber irgendwie geht es immer gut. Denkt man. Die Kinder drehen brav am Bordstein um, die kleinen Kinderfüße hören auf Richtung Fahrbahn zu watscheln. Entweder von selbst oder die Großmutter kommt doch mal angerannt, um den falschen Richtungsvektor von Tod hin zu Überleben zu verstellen. Sprich das Kleinkind neu auszurichten, dass es auf die Bude zuläuft statt auf die Fahrbahn. Dann wieder Radio. Fische waschen. Vor sich hin lächeln. Ein einziges Mal habe ich vorbei gehend ein Kind blockiert, das Richtung Fahrbahn unterwegs war. Aber ich gehe nur im Sekundentakt da vorbei. Achte mehr wo ich hin trete als auf anderer Leute Kinder. Schließlich legen sie an der vorderen Fressbude ihre glatten Kochbleche aus den Öfen in die Gosse, stellen den Bürgersteig zu und bei Regen habe ich das spiegelglatte Blech einmal nicht gesehen und hätte mir fast den Hinterkopf aufgeschlagen, so sehr bin ich hingesegelt.
Man darf parken. Überall.
Taiwan wie es leibt und lebt. Und den Ausländer Ludigel auskichert, wenn er dort essen kaufen muss. Etwa, in dem man ihm einen falschen Preis nennt - absichtlich - und dann noch einen und noch einen und sich freut, dass alle Gäste mitlachen. Dann bin ich ein Jahr nicht mehr hin. Heute hat die Garküchenentertainerin selber kleine Kinder, die jetzt auch begroßmuttert auf dem kleinen Bürgersteig herum rennen.
An der Ecke ist vor ein paar Jahren eine alte Frau überfahren worden an der Fußgängerampel. Ich fotografierte den Fahrer, der die reglos daliegende Frau fotografierte und er sah mich böse an.
Nun ist eines der Kinder tot, vom Auto überfahren. Ich weiß nicht von welcher Bude. Aber dies Wochenende spielten dort mal keine Kinder. Doch als ich in unsere Straße einbog, brachte ich meinen Wagen komplett zum Stehen. Denn zwei kleine Kinder spielten direkt an der Fahrbahn in der Kurve, gerade noch auf dem abgesenkten Bürgersteig. Während die Eltern auf Einlass ins italienische Restaurant warteten und angestrengt aufs Handy guckten.