Taipei erscheint vielen Ausländern wie auch mir als Großstadt fast ohne Straßenkriminalität. Trotz höherer Mord- und Totschlagszahlen in Taiwan geht man i.A. davon aus, dass die höhere Todesrate sich durch interne Auseinandersetzungen im Gangstermilieu und durch Streit in taiwanischen Familien erklärt, wovon man als Ausländer, vom gelegentlich fliegenden Wasserkocher abgesehen, wenig bis nichts mitbekommt. Auch wenn wie neulich berichtet eine große Menschenmenge einen Polizisten erschlägt in einer Disco oder dergleichen, scheint es unter die Regel zu fallen, denn der Polizist arbeitete offenbar nebenher als Clubsecurity, was wohl ein anderes Wort für "Gang" ist.
Nur der Irre, der wie damals berichtet ein Messer in der U-bahn zog und vier Leute im Schlaf erstochen hat, der passte nicht ins Schema platt gesagt. Und jetzt sind zwei tote junge Männer auf der Rückbank eines Autos in einem Parkhaus in Taipei gefunden worden. Sie kamen aus dem Großraum Taichung und hatten sich den PKW von der Mutter des einen für einen Trip nach Taipei geliehen. Während einer im Parkhaus im Auto wartete, ging der andere schnell Getränke kaufen, wie man das auf einem Ausflug so macht. Das ganze am Nachmittag in Ximending, dem hübschen Stadtteil, in dem ich hier einst eine ganze Fotoserie geschossen habe (ein Posting hier: http://osttellerrand.blogspot.tw/2013/01/geschichten-aus-dem-ximen.html). Ich hätte die beiden jungen Leute auf dem Trip so sicher wie in Abrahams Schoß gewähnt und als einziges Risiko einen Verkehrsunfall genannt.
Doch was ist offenbar passiert? Der zurück gebliebene junge Mann, wie der andere ohne jedwedes Strafregister, geriet offenbar mit jemanden in Streit. Dieser hat ihn dann aus nächster Nähe dreimal in den Kopf geschossen wie bei einer Exekution und die Leiche dann einfach auf die Rückbank des Wagens gesetzt. Als der zweite junge Mann mit den Getränken zurück kam, wurde auch er auf gleiche Weise erschossen und ebenfalls so im Auto platziert. Gespenstisch. Die Polizei hat wohl durch die in Taiwan überall präsenten Kameras einen Verdächtigen und sucht nach ihm.
Es ist anzumerken, dass es in Taiwan sehr wenig Schusswaffen gibt. Normalerweise sagt man, diese seien nur in harten Gangsterkreisen verbreitet, abgesehen von den Waffen in Händen von Staatsdienern. Stimmt das Bild vom friedlichen Taipei noch? Ich bin mir nicht mehr sicher. Straßenverkehr ist neben Nachtleben die zweite Problemzone, bei der Taiwaner oft schnell die Kontrolle über sich verlieren. Alkohol und Autos enthemmen wohl gleichermaßen die sonst ruhigen Taiwaner, die ihre Gefühle fast immer wie sozial (und konfuzianisch) vorgeschrieben unter Kontrolle haben. Ein extremes Beispiel für einen Straßenverkehrsstreit?
http://www.chinapost.com.tw/taiwan/local/taipei/2015/01/14/426467/2-shot.htm
UPDATE: In der jüngsten Meldung treibt die Chinapost ein Verwirrspiel, sie nennt zunächst den angeblichen Schützen namentlich, nur um weiter unten im Artikel zu schreiben, der genannte sei doch nicht der Schütze offenbar. Die genannte Person ist der Onkel der Freundin eines der beiden Opfer. Die Opfer haben den gleichen Familiennamen, aber keine verwandtschaftliche Beziehung. Der Onkel spielt eine etwas undurchsichtige Rolle, weil er die Tour mit den beiden zusammen gemacht hat und sich dann offenbar abgesetzt hat (weil er die beiden nicht mehr finden konnte), ist aber offenbar gemäß den Tatvideo nicht der Schütze. Letztlich weiß man also wenig neues und es ist zu hoffen, dass die Verwirrung im Chinapost-Artikel nicht auf die Fahnder übergreift.
http://www.chinapost.com.tw/taiwan/national/national-news/2015/01/15/426553/Chen-Fu-hsiang.htm
Taiwanstyle ist es, gleich mit vollen Namen um sich zu werfen, auch wenn man nicht mal weiß was man eigentlich sagen will.
UPDATE 2:
Wesentlich kohärenter als die KMT-freundliche Chinapost schreibt die DPP-freundliche Taipei Times über den Fall: Demnach waren die beiden Opfer doch nicht unbescholten, sondern hatten Drogenbesitz im Strafregister. Nach Informationen aus der Unterwelt, die die Taipei Times wiedergibt, soll es bei dem Vorfall um das Einfordern von Geld seitens der Opfer aus einem Drogengeschäft oder einer illegalen Wette gegangen sein und ein Gangsterboss soll einen professionellen Killer angeworben haben, der die beiden jungen Männer erschossen hat. Die Chinapost schreibt, der Killer habe nach der Tat in aller Ruhe seine Waffe in einem Fahrstuhl gesäubert, obwohl sich in diesem zwei Frauen befunden haben. Eine Szene wie aus einem Gangsterfilm. Desto mehr die Gangsterbanden in der Öffentlichkeit herum knallen und ihre Waffen zeigen, desto weniger macht sicher die alte Prämisse sind, Taiwans höhere Mord- und Totschlagsrate im Vergleich etwa zu Deutschland sei nicht sicherheitsrelevant, weil die Morde ja "nur" im Gangstermilieu (und in Familien bei Streitigkeiten) stattfänden.
Bizarr der Eindruck, dass die KMT-freundliche Chinapost hier die Taipei-Gangsterbanden aus der Meldung heraus halten will. Man beachte die Prämisse, dass die taiwanische Regierungspartei KMT traditionell auch mit der Taipei beherrschenden Mafia ("Bambusgang") verzahnt ist.
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UPDATE3 (nicht zur Sache, sondern Straßenverkehr): Autofahrer mit Dashcam überfährt Passanten, begeht Fahrerflucht, touchiert Kleinlaster (dessen Fahrer es egal ist), überfährt einen Motorrollerfahrer, begeht wieder Fahrerflucht und kracht dann in einen PKW, was wohl das Ende der Fahrt ist (auch wenn der Schaden am Täter-PKW gering war). Kam hier in den TV-Nachrichten: http://www.liveleak.com/view?i=7be_1421205519Mir ist nicht klar, in wieweit im die Dashcam helfen wird.
6 Kommentare:
Im Zuge der Liberalisierung/Demokratisierung hat die Zentralregierung den Eingeborenen zugestanden, Schusswaffen herstellen und besitzen zu können. Sogar relative moderne Modelle. (Oder eher: Präsident Ma wollte dem einen Riegel vorschieben, aber der zuständige Richter mochte die KMT nicht...)
Mit anderen Worten: Es gibt ganze Gebiete, in denen die Gesetze der RoC nur eingeschränkt gelten. Wundert mich eher, dass nicht noch mehr passiert. (Und nicht zu vergessen: Die meisten Häfen sparen sich Zollkontrollen und lassen die Reeder selbst Prüfungen durchführen. Der Staat schickt nur manchmal Leute für Stichproben vorbei.)
Du meinst also, Aboriginees dürften Waffen tragen und das schon länger? Ups. Na hoffentlich rasten sie nicht ebenso bei Kleinigkeiten aus wie die ach so ruhigen und netten Taiwaner, die öfter mal nur ein Fünkchen brauchen (oder eben Alk und Auto) um ihre konfuzianisch antrainierte Gefühlskontrolle wie ein Vulkanier im PonFar (s. Star Trek) zu verlieren.
Oh, nun kommts so langsam raus, was gewisse juristisch Vorbelastete gleich dachten, als sie den Artikel lasen: Es war wohl ne Tat im Drogenmilieu, der finanzielle Streitigkeiten vorausgegangen waren. Ich hatte nichts kommentiert, weil ich dachte, dass ich nur noch in Schemata denke, wenn gewisse Catchwords fallen und mich womöglich irre. Aber nö, war wohl mal wieder richtig. Die zwei verlangten anscheinend Kohle von nem Gangsterboss, der dann nen Profikiller schickte. Nichts mit harmlosem Ausflug in die Stadt...
Gestern wurde in Langenhagen übrigens ein Mann in einer Kfz-Werkstatt im Gewerbegebiet erschossen.
Aborigenes? Da musste ich gerade an ein Lied denken, das ich spontan etwas umtextete: "Yellow and white men listen to the songs we sing. Yellow and white men came took everything. We carry in our hearts the true country. And that cannot be stolen. We follow in the steps of our ancestry. And that cannot be broken...." Oh, immer denke ich in Schemata...
Oh, das mit dem Auftragsmord im Drogenmilieu hattest Du ja in den Updates geschrieben. Auch wieder typisch für mich. Erst schreiben und dann die Updates lesen... ;-) Ich werde so langsam richtig gut darin, ne arrogante Juristin zu werden, hoffentlich auch ne gute... ;-)
Soweit ich es verstehe, wäre bei einem normalen Gangstermord, wenn die beiden also nachts auf einem Hinterhof erschossen worden wären gar nichts passiert. Polizei hat hier einen Mafiamodus, bei dem sie sofort die Ermittlungen einstellen, wenn sie Mafia riechen. Heißt es immer wieder. Die Parallelgesellschaft löst eben ihre Probleme selber. Hier aber wurde in einem belebten Vorzeigeviertel Taipeis mit tollen Fussgängerzonen nachmittags geballert und die Jungs wirkten noch fast wie Normalbürger, ganz am Anfang ihrer Karriere offenbar. Also wurde der Modus Vivendi Taiwans verletzt, dass die Straßen sicher sein müssen. Da halten KMT,Polizei,Justiz,Bambusgang als Einheit zusammen und dann wird der Fall schnell gelöst.
Hier noch mal zum Mitschreiben für die Gangs:
- abgelegene Gegend
- Nachts
- Zettel ins Auto "wir sind's wieder mal"
Dann klappt es auch mit dem Millieumord.
Es war halt ein echter Profi... ;-)
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