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Montag, Januar 12, 2015

Südfrankreich um 1980, algerische Einwanderer, Diskriminierung

Wer viel herumreist erhält manchmal auch einen Blick hinter die Kulissen. Jedenfalls wenn er sich verläuft

Es war in den frühen 80ern oder den späten 70ern, da hatte ich eine Sprachreise mit einer Firma namens "EF" unternommen, die es wohl noch heute gibt und die Sprachtouren für Jugendliche anbot. Um mein desolates Schulfranzösisch aufzubessern weilte ich in Cannes an der südfranzösischen Küste, bei Privatleuten untergebracht. Das muss der Urlaub gewesen sein, wo ich damals am Bahnhof in Hannover bei der Abreise einen anderen jungen Mann kennenlernte, mit dem ich dann als Riesekumpan recht viel Zeit auf der Tour verbrachte. Zusammen teilten wir Schokoriegel und bewunderten die (oft Oben-ohne-) Strandschönheiten. Er ist heute Schauspieler und hat unter anderem in Serien wie Der Alte und Ein Fall für Zwei mitgewirkt. Aber damals waren wir einfach nur zwei Teenager. Mir ist bis heute im Gedächtnis, dass er mir anfangs sagte "Ich bin Jude...." und mich erwartungsvoll ansah. Ich weiß noch, dass ich damals erstaunt war, dass er das so bedeutungsschwer mittteilte und offenkundig auf eine Reaktion von mir wartete. Noch in Teenangerjahren war mir Judenverfolgung zwar gut bekannt, aber klebte noch sehr an den Seiten der Geschichtsbücher und hatte nichts mit der realen Welt von heute oder eben damals zu tun. "Ist mit doch einerlei die Religion" oder dergleichen war schließlich meine Antwort und er erklärte mir, er würde das immer gleich zu Anfang sagen, weil es Leute gäbe, die da ein Problem mit hätten.

Wir hingen viel zusammen herum, geteilte Fremde ist eben nur noch halb so fremd und für mich in jungen Jahren war eben selbst Frankreich ein Abenteuer. Wie dem auch sei, die Geschichte um die es hier gehen soll spielt an einem Tage, an dem mein Urlaubskollege keine Zeit hatte und ich allein die ca. 2 Kilometer an den Strand ging. Den Weg hatte ich schon mehrfach ohne Nachzudenken zurück gelegt, aber an diesem Tage beging ich den Fehler, über den Weg nachzudenken. Ob ich irgendwo rechts oder links lang muss, entschied mich falsch und wusste nicht mehr wo es lang ging. Da tauchte vor mir eine Polizeistation auf, hübsch mit der Trikolore geschmückt. Polizisten kannte ich damals aus Deutschland als freundliche Helfer, also nichts wie rein und nach dem Weg fragen. Dachte ich mir.

Doch sacre coeur, was war da drinnen bloß los? Da gab es einen großen Warteraum, der voll mit Menschen dunkler Hautfarbe war. Mir fiel auf, dass ein Großteil der Leute billig wirkende bunte Plastiksandalen an den Füßen trug. War ja auch recht heiß. Sollte ich mich auf den freien Stuhl da setzen, nur um nach dem Weg zu fragen? Bestimmt 50 Menschen, alle dunklerer Hautfarbe und wie ich vermutete algerische Einwanderer, saßen da auf den Stühlen in dem gar nicht so großen Zimmer und warteten in einer gedrückten Stimmung. Automatisch hatte ich mich hingesetzt und wenn man einmal sitzt, gibt es irgendwie so eine Art Gruppenerwartung, sich dem Prozedere zu unterwerfen, habe ich schon öfter festgestellt. Sollte ich also einfach wieder gehen? Stattdessen beobachtete ich mit dumpfer Faszination, was hier eigentlich vor sich ging. Immer mal wieder ging nämlich die Tür zur Amtsstube auf und ein (natürlich weißer) Polizist kam heraus, rief eine Nummer auf und sah dem sich nähernden dunkelhäutigen "Kunden", der sich schnell vom Platz erhob und dem Polizisten fast entgegen rannte, erwartungsvoll, aber auch etwas spöttisch entgegen. Und sehr oft änderte der Polizist seine Meinung, kaum dass der betreffende vor ihm stand. Oft war ein "non!" zu hören, nicht selten ein Wiehern dazu und auch die Kollegen kicherten durch die offene Tür, die sich schnell wieder mit dem Polizisten drin verschloss. Das passierte nicht einmal, sondern sehr sehr oft. Längst nicht immer wurden die Algerier, um solche handelte es sich wohl, auch vorgelassen. Mindestens eben so oft wurden sie nur aus Jux aufgerufen, um sich daran zu weiden, wenn sie umsonst aufgesprungen waren und sich wieder setzen mussten. Ein böses Spiel der weißen Polizisten mit den dunkleren Besuchern war hier zu besichtigen und ich war schockiert, dass sich offizielle Staatsvertreter so benehmen konnten. Was wäre da in Deutschland los gewesen, hätten sich Polizisten Ausländern gegenüber so aufgeführt. Abgesehen davon wurde mir natürlich auch bewusst, dass ich so nie drankommen würde. Sollte ich mich also als der einzige Weiße in dem Raum einfach vordrängeln? Mit welchem Recht eigentlich?

So verging wohl eine halbe Stunde, das demütigende Spektakel wiederholte sich immer wieder und wieder und die Algerier, wenn es denn solche waren, ertrugen es mit bemerkenswerter Gelassenheit. Schließlich drängelte ich mich vor, der Polizist war ganz erstaunt, dass ich da zwischen den Algeriern gesessen hatte und ich wurde natürlich sogleich dran genommen, bekam ein Glas Wasser und erfuhr eine viel viel freundlichere Behandlung. Im energischen Overdrive verständigten die Polizisten aber gleich meine Gastfamilie. EF-Gastfamilien waren Leute, die die Gastrolle wohl oft des Geldes wegen machten. Sie waren nicht erfreut über die Extrafahrt, dass merkte man ihnen an.  So hatte der Cannes-Besuch einen sehr durchwachsenen Eindruck hinterlassen. Nicht wegen der Franzosen allgemein, sondern wegen der düsteren Geheimnisse, die das sonst so sonnige Cannes wohl in den Hinterzimmern verborgen hatte. Dort, wo ich das erste Mal und vielleicht auch einzige Mal im Leben einen Geschmack davon bekam, was es heißen kann, in Westeuropa ein dunkelhäutiger Mensch zu sein. Ob ich die falsche Türe genommen habe frage ich mich bis heute. Aber ein sehr interessanter Einblick in die Republik war es schon.

Warum schreibe ich das heute auf? Nun, ich musste in Anbetracht des Charlie Hebdo - Attentats an die Szene denken. Denn so ausgegrenzte Menschen, die am Ende viel chancenloser als die Weißen in irgendwelchen Vorstädten in Paris hocken, die sind sicher viel leichter Beute für radikale Islamisten, als es zufriedene Menschen wären.

Und mir selber hat die Erinnerung klar gemacht, dass ich einst in der Lage war, mich auf Französisch einigermaßen zu verständigen. Was mir über die Jahre abhanden gekommen ist. Dieser Tage lerne ich ja sowieso schon wieder Mandarinchinesisch, was ein recht mühsamer Prozess ist. Da habe ich einfach mal Französisch dazu genommen. Es lernt sich leicht und schnell, das verschüttete Sprachwissen dringt derzeit sehr schnell an die Oberfläche und im Mix ersetzt es mir das Erfolgserlebnis, das mir beim Solo-Mandarinlernen meist fehlt. Mal sehen, wie es weiter geht. Schuld gebe ich nur mir am mangelnden Französischlernen; niemandem sonst.


P.S.: Autogrammkarte irgendwo für 99 Cent von meinem alten Urlaubskumpel. Das beleidigt jetzt sogar mich ein bisschen. Wäre es eine Ebayauktion, würde ich jetzt den Preis hochtreiben.

2 Kommentare:

Martin hat gesagt…

Hi Ludigel,

ja, und die Attentäter lebten seit vielen Jahren in Frankreich (wenn sie nicht schon in Frankreich geboren wurden). Auch die Attentäter von London waren auf dem Papier Briten. Wer also gegen Attentate vorgehen will, wird die Leute integrieren müssen. Unsere Werte nicht nur nach dem Attentat hochhalten, sondern auch dann wenn es um die Integration von Leuten geht, die hier lange leben. Hat das jetzt ein Politiker gefordert? Ich habe nichts davon gehört, wenn dann ging es bei mir unter. Habe nur gehört dass wir Gesetze verschärfen müssen, z.B. bei der Passagierüberwachung im Luftverkehr - als ob die Attentäter vor ein paar Tagen erst eingeflogen wären...
Martin

"Ludigel" hat gesagt…

Ich dachte auch sofort als sie wieder von Gesetze verschärfen redeten: Wieso? Mord und Geiselnahme sind schon verboten und werden hart bestraft.