Der Gatte der ersten Tochter der Mutter meiner Frau hatte zum Dinner in ein Nobelrestaurant in NeiHu, Taipei geladen. Das "Bird wo wo", wie die englischen Letter verkündeten, was wohl "Vogelnestchen" heißen soll. Wo1 jedenfalls heißt Nest und Wo1wo1 dann Nestchen. Eines der Nobelrestaurants wo man unten am Empfang den Namen des Reservierdenden wissen muss, um dann einen Passierschein zu bekommen, mit dem man dann oben vom mit Federn am Hut gekleideten Personal an einen Tisch oder in unserem Fall in ein Separee geleitet wurde. Dort in dem kleinen Raum stand ein riesiger runder Tisch, wie in Taiwan üblich mit drehbarem Mittelteil, auf das die Köstlichkeiten geladen werden. Mit 15 Leuten war es an dem Tisch so eng, dass sich manchmal die Stuhllehnen überlappten und unser Junior mit Kinderstuhl außerhalb des Kreises sitzen musste. Eigentlich hätten es zwei Leute weniger sein sollen, aber Schwiegermutter hatte noch die Eltern unseres "Quasineffen" eingeladen, eines jungen Mannes aus der Nachbarschaft, dessen Eltern einen Kiosk und in Internetzeiten wirtschaftliche Pein haben und ihr Sohn daher traditionell von meiner Schwiegermutter mit ernährt wird, die seine ehmalige Babysitterin ist. Allerdings war Schwiegermutter nicht die Gastgeberin, sondern das war mein Schwager, Gatte des Ersten Tochter der Familie, weswegen sich die Enge am Tisch ob der unangekündigten Personalstreckung erklärte. Raum ist in Taipei teuer und daher geht es immer irgendwie bedrängt zu. In Garküchen hat man kurioserweise oft mehr Platz als in Nobelrestaurants. Oder vielleicht ist meine Taiwanfamilie auch einfach zu groß.
Heimatliche Siedlung in Taipei NeiHu, hier festlich dekoriert. Das Restaurant liegt freilich in einem modernen Büroviertel ganz in der Nähe
Das Essen bestand nicht aus dem üblichen gibberigen Seafood, worüber ich froh war, denn das taiwanische Festessen schätze ich nicht so sehr. Dinner mit meiner "Chinese-Taipei"-Familie haben auch immer einen gewissen Stressfaktor, den kritischen Blick meiner Schwiegermutter auf meinen oft nicht hinreichenden Verzehr von glibbrigem Seafood neurdings inbegriffen. Gut, die Beziehung zu Schiwegermüttern ist ja in gängiger Literatur hinreichend besungen worden und ich will da nichts hinzufügen außer der Aufsummierung, die nette Dame und ich hatten in unserer Beziehung schlecht angefangen, hatten in der Mitte einen Durchhänger und haben die letzten Jahre stark nachgelassen (Augenzwinkern bitte mitgedacht an dieser Stelle). Allerdings fiel mir nun auf, dass die grundsätzlich abgezählten Köstlichkeiten grundsätzlich immer zu anderen Familienmitgliedern und auch zu den Eltern des Quasineffen hingedreht wurden, während bei Gattin, Junior und mir der Anblick von Sojagefäß und leeren Gläsern und Servietten etc. blieb, was die Versorgung von Junior, der längst nicht alles von den kleinen Feinschmeckerhappen mochte, nicht gerade einfach machte. Hat eigentlich irgendjemand schon mal eine Doktorarbeit geschrieben mit einem Titel wie "Die soziale Funktion des drehbaren Esstischs und ihre empirische Korrelation mit der Mahlzeiten-Zugriffszeit pro Person in der chinesischen Kultur im Allgemeinen und der von Chinese-Taipei im Besonderen"? Chinese-Taipei ist ja die Bezeichnung für das von der UNO etc. nicht diplomatisch anerkannte "Taiwan" (das eigentlich mit Staatsnamen Republik China heißt). Dieser Terminus spiegelt aber recht gut mein soziales Umfeld wieder hier in Taipei, ist doch "meine Taiwanfamilie" eine alte Großgrundbesitzerfamilie vom chinesischen Festland (aus der selben Provinz aus der auch Exdiktator Chiang-Kai Check enstammt, erzählen sie gerne), bei der sich die abgöttische Liebe für die eigene (5000jährige!) chinesische Kultur mit dem südtaiwanischen Extrembuddhismus (personifiziert durch meine aus Kaoshiung stammende Schwiegermutter) vermischt. Meine "Taiwanfamilie" ist schon etwas Besonderes. Dramatischer Höhepunkt des chinesischen Familiendinners war, als eines der Junior-kompatiblen "Brötchen" (köstlich gefüllt mit krossem undefinierbarem Irgendwas) übrig blieb und schon auf eine der Resteunterfassen umgelagert worden war. Meine Frau hatte dieses von irgendjemanden nicht verzehrte Brötchen schnell aufgenommen und wollte es mir als Juniorfütterer schon überreichen, da schnappte es die "Erste Tochter" der Familie und Gattin des Gastgebers meiner Frau ganz undamenhaft aus der Hand und erklärte sogleich, das Brötchen sei das Ihrige, sie wolle es aber selber nicht essen, habe aber entschieden es dem (mopfsfidel runden und siebenjährigen) kleinen Neffen "Didi" zu geben. So musste Junior dann ohne das Brötchen satt werden, obwohl er im Gegensatz zu den älteren Kindern vieles am Tisch wegen zu scharf oder zu salzig nicht essen konnte, aber im Verhältnis zu den Gesamthürden der Kinderaufzucht stellte das eher eine kleine Widrigkeit da.
Sehr nett am Abend das Gespräch mit meinem philippinischen Schwager, der zwar einer in die Philippinen um 1949 rum aus China emigrierten Familie entstammt, aber eben auch ethnisch philippinisch ist und der, so wie ich gehört habe, anfangs ganz schlecht von meiner und seiner Taiwanfamilie aufgenommen worden ist. Weil er nicht so ganz waschecht 5000jährig-chinesisch war, wie ich annehme. Kann ich mir ja gar nicht vorstellen, so etwas ob meiner herzlichen Aufnahme in den Familienkreis (rhetorisches Räuspern).
Er lud Gattin, Junior und mich zum wiederholten Male auf die Philippinen ein und wir haben uns lange sehr nett unterhalten. Mir schwante, dass es Zeit wurde, die diplomatischen Beziehungen des deutsch-taiwanischen und philippinisch-taiwanischen Familienflügels zu intensivieren.
Kulinarisches Highlight des Abends war an einer Art Mini-Wäscheleine (aus Holz nebst Holzgestell) aufgehängter hauchdünner Schweinespeck mit hauchdünnen passenden Gurkenstreifen und ansonsten eine köstliche Kugel aus Shrimpsfleisch, kein bisschen fischig schmeckend, mit einer leckeren dicken Teigkruste und dem äußerlichen Antlitz einer Seemine - sie wissen schon, die aus den Seekriegsfilmen mit zahlreichen Kontaktzapfen).
Daheim rezensierte dann meine Frau in einer Art militärischem Debriefing sichtlich genervt die taktischen Vorkommnisse des Abends. Die großen Essen-Wegdreher waren demnach die fingerfertige Erste Tochter und meine Schwiegermutter. Hingegen war der philippinische Familienzweig und auch die vierte Tochter und ihr Gatte (die mit den Zwillingen) Essen-Hindreh-Fraktion, aus unserem Blickwinkel gesehen. Politisch neutral hingegen die Quasineffen-Fraktion, bei der mir nur die übergroßen Augen anlässlich der vielen Köstlichkeiten aufgefallen waren den ganzen Abend und die ja auch das Essen immer wieder hingedreht bekamen. Mit Butterkeksen daheim sieht man solche Vorkommnisse locker und ich wollte dann auch gar nicht so viel von den sozialen Interdependenzen meiner Chinese-Taipei-Familie hören. "So war es schon immer", sagte meine Frau. Und erwähnte, die Erste Tochter (das dürfen wir um der Götter Willen nicht klein schreiben), habe ihr als Kind schon immer das Spielzeug weggenommen, sanktioniert von der Mutter, die im Tempel ja gehört habe, die dritte Tochter bringe Unglück - und die dritte Tochter ist ja meine Frau.
Ich war froh, als der Abend ausklang und ich am Rechner noch etwas das Uraltspiel "Baldur`s Gate" spielen konnte, ganz ohne Taiwanfamilie. Nach dem Familiendinner war ich innerlich gegen die Nachstellungen der Kopfgeldjäger gewappnet, die mich am Eingang des Gasthauses "Zum freundlichen Arm" oder dergleichen empfingen.
Sehr zu empfehlen, aber natürlich nur mit Vorbestellung, das Restaurant Bird-Wo-Wo in NeiHu, möglicherweise nur ab einer gewissen Gästezahl, das hat man manchmal in Tawan: http://www.taipeitimes.com/News/feat/archives/2014/04/03/2003587149/1
http://birdwowo.com/Default.aspx
Gattin, Junior und ich werden da ganz in Ruhe noch mal allein hingehen, vermutlich mit dem Quasineffen zur numerischen Unterstützung. Mein philippinischer Schwager reist leider am Dienstag schon wieder ab. Zum mulitkulturellen Aspekt meiner Chinese-Taipei-Familie kann ich mir ein kleines Nachwort nicht verkneifen: Mein Lieblingsneffe, der Sohn der Ersten Tochter, weilt mittlerweile auf Austauschjahr bei einer afroamerikanischen strengchristlichen Familie in Maryland, USA. Da gefällt es ihm so gut, dass er bisweilen die Heimaturlaube nur höchst unfreiwillig antritt. Seine Facebook-Vorkommnisse nähren in mir die Hoffnung, dass meine hiesige Familie vielleicht nach dem Schock eines zumindest teilweise philippinischen Schwiegersohns und eines ganz und gar teutonischen nun vielleicht noch den Schock einer afroamerikanischen Schwiegertochter zu verdauen hätte. Zu schön um wahr zu sein, aber was würde ich geben, um das Gesicht von Erster Tochter und Schwiegermutter zu sehen. Notfalls sogar ein Krabbenfleischbällchen im Seeminen-Design.
EDIT: Artikel etwas editiert, ursprünglicher (doch zu ernster Titel) war "Zustimmungsbarometer" ;-)
5 Kommentare:
;-)
Jetzt bin ich noch gespannter auf dieses Land... :-)
Bei dem Festessen wären wir uns kulinarisch einig gewesen. Köstlich war das! Dieses krosse Gemüse im Brötchen sah aus wie Seetang, schmeckte aber nicht meerig. Und wie würde man Seetang kross kriegen? Exzellent auch Schmorfisch mit superscharfen Nudeln, Chinakohl in gelblicher Soße (leicht zitronig-eiig?). Hmmm...
Hmmm... :-)
Krass, "deine" Familie - und noch krasser, dass du dir das so gefallen lässt!
Ich muss demnächst echt mal wieder meine Schwiegereltern zum Essen einladen. In all den Jahren hatten wir nur einmal eine herausfordernde Situation: Als ich rumgenörgelt hatte, dass Fernsehgucken während der Babyaufpasszeit nicht prima sei. Langeer Rede kurzer Sinn: Es sind nicht alle Taiwanesen so, hm, unterschwellig schwierig.
Meine Taiwanfamilie ist etwas ganz besonderes. Da ist man noch stolz auf 5000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 Jahre Chinesentum und kriegt Weinkrämpfe, wenn das Kinderfahrrad vom Jung-Exdiktator Chiang Junior im Fernsehen gezeigt wird ;-)
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