Anmerkung: Mühevoll habe ich eine Überschrift wie "Lieber Hung-over, zart be-Tsai-tet oder too-Soon(g) in China?" hier aus dem Titel verbannt.
Wenn im Januar 2016 gewählt wird, haben die Wählerinnen und Wähler des taiwanischen Wahlvolkes (streng genommen müsste man sagen: des Wahlvolkes der Republik China - die wir umgangssprachlich Taiwan nennen) die Wahl zwischen vier Kandidaten, von denen aber nur drei praktische Bedeutung haben. Außenseiter ist Shih Ming-Teh. Herr Shih war einst Mitglied und sogar Vorsitzender der derzeitigen Oppositionspartei DPP, der Democratic Progress Party, die in der Zeit der Diktatur in Taiwan schon für Demokratie und auch den Bruch der verfassungsrechtlichen Bezüge zu China eingetreten ist. Herr Shih hat aber den letzten Präsidenten aus der DPP -Chen- im Jahre 2006 massiv kritisiert und dabei die Rothemden-Bewegung ins Leben gerufen. Kritikpunkt war die recht extreme und offene Korruption der Chen-Regierung, wegen der Chen bis vor kurzem im Gefängnis saß. Herr Shih selbst saß lange vorher unter der Kuamintang(KMT)-Diktatur 25 Jahre im Gefängnis -als Dissident und Kämpfer für die Demokratie - und ist sicher ein ehrenhafter Mann. Chancen bei der Wahl hat er als Parteiloser aber wohl keine laut Wahlprognosen.
Shih, parteilos, Foto von Wikipedia
Seine Expartei, die DPP, tritt nämlich mit Tsai Ingwen an, die jedenfalls nicht unpopulär ist. Die Vorsitzende der DPP wirkt extrem ruhig und ist nicht gerade ein Massenmagnet. Im bisweilen aufgeregten taiwanischen Politklima wirkt sie mit ihrer ruhigen Persönlichkeit und der Erklärung, den Status Quo Taiwans zu China wahren zu wollen allerdings durchaus positiv. Natürlich will sie ihrer Parteilinie gemäß keine "Wiedervereinigung" mit China, aber eben auch keine "formale Unabhängigkeit" Taiwans. Ich merke hier gerne an, dass die Republik China aka Taiwan sowieso schon ein de-facto unabhängiger Staat mit eigener Währung, eigener Staatsbürgerschaft, eigenem Militär und eigener Regierung ist, aber im DPP-Lager würde man gerne die Bezüge zur chinesischen Vergangenheit aus der Verfassung und dem Staatsnamen streichen. Nur dass die VR-China für diesen Fall eben mit einem militärischen Angriff auf Taiwan droht, was diese Idee etwas problematisch macht. Aber Frau Tsai will ja auch dahingehend nichts verändern, sagt sie.
Frau Tsai ist die aussichtsreichste Kandidatin und wird bei 36% in den Umfragen gesehen (es wird eine Direktwahl des Präsidenten/der Präsidentin in einem einzigen Wahlgang geben und die Wahl des Legislativen Yuan aka Parlaments gleich dazu). Gefahrenpunkt hier vielleicht: Was wenn Tsai nach erfolgter Wahl mehr in Richtung formeller taiwanischer Unabhängigkeit geht als sie jetzt sagt?
Tsai, DPP, Foto von DPP-Webseite
Einen Titelverteidiger gibt es nicht, denn die derzeit wieder regierende Partei KMT/Kuamintang, die höchstselbst die KMT-Diktatur in eine parlamentarische Demokratie überführt hat zwischen 1992 und 1996, muss mit einem neuen Kandidaten respektive einer neuen Kandidatin antreten. Eben weil der amtierende Präsident Ma Ying-Jeou (KMT), der dritte freigewählte Präsident der Republik China/Taiwan überhaupt, schon zwei Wahlperioden amtiert hat und daher nicht wieder antreten darf. Präsident Ma hatte eine i.A. als prochinesisch wahrgenommene Politik gemacht, mit wirtschaftlicher Annäherung an die VR-China, die 2014 nach massiven Studentenprotesten bis hin zur Parlamentsbesetzung zumindest teilweise gestoppt worden ist. Die für 2011 angekündigte "politische Union" zwischen der Republik China/Taiwan und der VR-China fand jedoch nicht statt. Ma gilt heute als unpopulär, doch positiv formuliert hat er eine Taiwan-China - Entspannungspolitik auf die angespannten Jahre der vorhergehenden Chen (DPP)-Präsidentschaft folgen lassen, unter der die VR-China dem kleinen Taiwan oft mit Krieg gedroht hat wegen der angestrebten "Unabhängigkeits"-Schritte.
Hung, KMT, Foto von KMT-Webseite
Die KMT tritt heute mit Frau Hung Hsiu-Chu an, die als Hardlinerin und Anhängerin einer "nationalen Vereinigung" zwischen der Republik China/Taiwan und der VR-China gilt. Sie redet im Wahlkampf u.a. davon, "den nächsten Schritt in der Beziehung zu China" folgen zu lassen. Was damit gemeint ist, ist Beobachtern nicht völlig klar. Frau Hung redet sowohl davon, die Republik China aka Taiwan von der VR-China offiziell anerkannt bekommen zu wollen (eine solche offizielle Zweistaatlichkeit a la BRD/DDR ist völliger Science Fiction in Taiwan/China) als eben auch von der nationalen Vereinigung. Frau Hung gilt auch nicht gerade als Massenmagnet und ihre Aufstellung als Kandidatin wurde von vielen Beobachtern mit Erstaunen zur Kenntnis genommmen. Denn demographisch bedingt scheint die Popularität einer "Wiedervereinigungspolitik" in Taiwan eher auf dem Rückschritt zu sein (1949 aus China geflohene Wähler sterben weg) und ihre offenbar prochinesische Haltung steht zumindest im Gegensatz zum öffentlich wahrnehmbaren Klima unter jungen Leuten - vergleiche die erwähnten Studenten- und die aktuellen Schülerproteste. Frau Hung liegt nur bei 17% in der oben referenzierten Umfrage. Allerdings muss man beachten, dass Umfragen in Taiwan oft sehr stark das Meinungsbild des Auftraggebers widerspiegeln sollen.
Korruption findet bei der KMT immer sehr verdeckt statt, sagt man im Allgemeinen. Schließlich ist die KMT die alte Staatspartei Taiwans. Beleg dafür ist beispielsweise die derzeitige grenzwertige Kooperation mit dem "Weißen Wolf" aus der Bambusgang-Triade, der zur Zeit der Studentenproteste plötzlich aus dem chinesischen Exil auftauchte und von der Justiz mit Samthandschuhen angefasst wurde.
Soong, PFP, Foto von PFP-Webseite
Anfang August erst hat James Soong seine Kandidatur bekannt gegeben. James Soong ist altes KMT-Urgestein und seine jetzige Partei, die PFP (People First Party) unterstützt normalerweise auch die KMT im sogenannten Pan-Blauen - Lager (Blau ist die Parteifarbe der KMT, der Gegenpol zu Pan-Blau ist Pan-Grün, das sich um die DPP schart). Soong war im Jahre 2000 mit eigener Partei gegen den Präsidentschaftskandidaten Lien Chan (KMT) seiner alten Partei angetreten. Das war eine turbolente Zeit, als der Noch-KMT-Vorsitzende und amtierende Präsident Lee damals nicht mehr als Präsident wg. 2 Legislaturperioden Amtszeit antreten durfte. Lee hatte eine sehr DPP-ähnliche Politik gemacht und damit viele in der KMT von sich entfremdet. Aber eben auch die parlamentarische Demokratie eingeführt. In der 2000er - Wahl verlor Soong nur sehr knapp hinter Chen (DPP), der damals Präsident wurde. Erst 2012 trat Soong wieder zur Präsidentschaftswahl an, gegen den amtierenden Ma von seiner Expartei KMT und gegen Frau Tsai von der DPP. Soong erhielt nur um die 2% bei dieser Wahl.
Soong gilt offenbar als recht charismatisch, ist von der ideologischen Linie her auch eher ein Wiedervereinigungsfreund und trägt sicherlich den Ballast der Dikataturzeit mit sich herum (wie allerdings durchaus auch der amtierende Präsident Ma), gibt sich aber offenbar moderat im Wahlkampf. Vielleicht um Hung (KMT) Stimmen eher chinaneutraler KMT-Wähler abzujagen? Soong wird in der zitierten Umfrage bei hohen 24% noch vor Hung (KMT) gesehen, was mich angesichts seines letzten 2%-Resultats doch sehr verblüfft hat. Kann das stimmen? Was meinen Sie? Und wie würden Sie wählen - vergleiche die (gerade in Arbeit befindliche) Abstimmung hier im Blog.
Nachtrag: Der erwähnte Expräsident Lee, ehemals KMT-Diktator, dann Einführer der parlamentarischen Demokratie, ist heute in der von ihm ins Leben gerufenen Partei TSU (Taiwan Solidarity Union), die allerdings keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt hat und stattdessen Frau Tsai von der DPP unterstützt. Die TSU gehört zum Pan-Grünen Lager wie auch andere Kleinparteien.
Bisherige frei gewählte Präsidenten "Taiwans" (der Republik China):
1. Lee Teng Hui, ehemals KMT, heute TSU, 1992-1996 (indirekt gewählt), 1996-2000 (direkt gewählt)
2. Chen Shui-Bian, ehemals DPP, heute parteilos, 2000-2008
3. Ma Ying-jeou, KMT, 2008 bis heute
EDIT: Die Poll/Wahl ist oben rechts im Blog zu sehen. Mobilgeräte zeigen das leider nicht an.Einen Link konnte ich leider nicht finden/produzieren dazu, jedenfalls keinen funktionierenden.
Auf einem PC/Notebook guckt man einfach oben rechts ins Blog, wo das Wahl-Gadget ist.
4 Kommentare:
Auf Fehler bitte hinweisen, dann editiere ich gerne.
http://www.spiegel.de/panorama/taiwan-fotos-von-pornodarstellerin-auf-nahverkehrskarten-a-1050260.html
Meine Easycard zeigt nur Farbwirbel. Verdammt!
Und man sieht: Die deutsche Qualitätspresse berichtet nur über Kurioses aus Taiwan, während Blogger eher über den Wahlkampf berichten ;-)
Und jetzt wählen gehen!
Trotz 4 Kandidaten alles wieder nur zentriert um China oder eher gegen China herum. Pan-Blau oder Pan-Grün. Traurig!
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