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Mittwoch, November 27, 2013

Hurra, Bürgersteige!

Der gemeine Deutsche, der sich in freier Wildbahn oft genug auf einem "Bürgersteig" oder auch "Trottoir" (eine meiner Tanten nannte das glaube ich früher "Trittoir") aufhält, ahnt gar nicht, was für ein famoses Ramperl da zu seinen Füßen liegt. Hier in meinem Militärveteranenviertel in NeiHu, Taipei hatte die nicht vorhandene Städteplanung jahrzehntelang weitestgehend auf Fußwege verzichtet, wie in fast ganz Taipei. Nur schmale, oft unpassierbare Ministeige gab es allenthalben oder eben breite Bürgersteige in der Commerzinnenstadt. Aber in Schlichtwohnvierteln wie meinem oder auch neu gebauten Villenvierteln musste man nach wie vor bürgersteiglos von dannen traben, der Gnade von LKWs, Mopeds und hupenden Toyotas ausgeliefert.

Doch jetzt ist er da, ein städtischer breiter Bürgersteig wenigstens an der lokalen Hauptstraße. Die irgendeine Lane der WenDe Road ist (nicht nach Helmut Kohl benannt). Gerade die Ecke oben im Bild war mir immer besonders unangenehm, denn hier war der Bürgersteig gerade mal 50cm breit und die Fressbuden links verströmen einen sehr unangenehmen Geruch. Eine der Butzen etwa hält kotverschmierte gelbgrün eingekleisterte Hühner in Käfigen gefangen, die dann manchmal auch tot und blau auf dem ungekühlten Verkaufstisch liegen. Lecker! Der Gestank der Bude ist widerwärtig und vermischt mit irgendeiner Würzsuppe nebenan drehte sich mir immer der Magen um beim Vorbeigehen. Wenn dann noch Kunden dastehen oder Fische auf dem Bürgersteig angeboten wurden, musste man auf die Fahrbahn ausweichen, wo damals noch Autos parken durften und fand sich bei in zweiter Reihe geparkten LKWs oder PKWs dann uach schon mal auf der Gegenfahrbahn wieder. Am Ende des Bürgersteigs war sowieso Schluss, da wo jetzt die Tische und die Person im Hintergrund zu sehen sind, war der Bürgersteig durch Tische, Stühle, Grünpflanze und derlei Zeug abgesperrt. Einmal hatten sie auf der Fahrbahn dann noch ein nasses silbernes Kuchenblech liegen, das ich der grauen Farbe wegen nicht erkannt habe und mich dort lang gelegt habe. Herrlich. Diese kleinen Fressbuden sind sicher eine gute Einkommenquelle für viele Familien, aber in Sachen Abwässer-munter-in-die-Gosse (Fäulnisgeruch) und Federviehhaltung (Salmonellen) sicher auch ein Gesundheitsproblem.


Wenn man Abstand halten kann, ist das alles aber sehr viel entspannter (obwohl die Hühner immer noch im Käfig vor sich hin schimmeln) und das Viertel gewinnt deutlich an Klasse. Wenn ich es mit früher vergleiche, ist das kaum wieder zu erkennen. Hier im Bild etwa waren sonst Kundenfahrzeuge der Kfz-Werkstatt auf dem Bürgersteig geparkt und vorne an der Ecke war noch vor Jahren nicht die heutige Pizzeria/Nudelria, sondern eine Garküche, die ihren Abfall einfach auf den Bürgersteig kippte, nebst Käfern dazwischen und einem Kleinkind, der einfach auf die Straße pullerte, mitten in den Käfersalat hinein. Doch schon seit der SARS-Epidemie um 2004 herum wird sowas nicht mehr geduldet und mit dem breiten Bürgersteige sieht die Straße schon richtig gut aus.

Richtig fröhlich schwebe ich jetzt immer zur Garküche (keine der Dreckbuden, da habe ich mittlerweile ein Veto bei meiner Taiwanfamilie eingelegt) oder zum weißgrünen 24h-Supermarkt im Hintergrund und genieße es so richtig, meinen Verkehrsraum einzunehmen. Doch siehe da, vor der Kfz-Werstatt parkte die letzten Tage schon wieder ein Auto und nahm den Bürgersteig komplett ein. Hier im Foto hat der Lexus zwar noch schamhaft die Warnblinkanlage an, doch am Folgeabend parkte er schon ohne da vor dem Rolltor. Das ist übrigens eine sehr verbreitete Art in Taiwan, sein Auto zu parken. Einfach vor ein Rolltor geparkt (eine Garageneinfahrt simulierend) und so den Bürgersteig absperren. Wird offenbar akzeptiert, sowie ein Rolltor da ist. Noch kommt man bequem vorbei, weil die Fahrbahn abgesperrt ist durch die Baustellenreste. Aber wenn die Baustelle bald weg ist und vielleicht noch Autos da parken, muss man etwa mit dem Kinderwagen wieder auf die Fahrbahnmitte ausweichen. Ich bin mir sicher, in einem Jahr oder so ist von dem schön breiten Bürgersteig nichts mehr übrig. Außer Verkaufs-, Garküchensitz- und Parkfläche. Na gucken wir mal, ob ich zu pessimistisch bin.

Ach ja, so richtig aufregen kann ich mich über die den Bürgersteig zuparkende Kfz-Werkstatt auch nicht. Mein eigenes Auto stand da auch oft genug. Wenig Platz und viel Automobilliebe der Taiwaner führen halt immer wieder zu fehlendem Raum für Fußgänger. Vielleicht ist es jetzt ja ein bisschen besser.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Gute Idee, aber ich sehe das genauso pessimistisch. Das Problem wird nur verschoben. Der neue Bürgersteig wird irgendwann wieder vereinnahmt zum Parken, Lagern, Werkeln, für die Bonsais und und und ... Mich als Freund des Stadtwanderns nervt am meisten, dass ich völlig entschleunigt werde. Ständig den Weg suchen, über Autos klettern, sich zwischen Scootern durchmogeln. Sogar für kurze Wege braucht es unheimlich lange. Kein Wunder, dass die lokale Bevölkerung fast immer das Auto oder den Motorroller nimmt, aber so gut wie nie zu Fuß geht. Gruß Luo You

"Ludigel" hat gesagt…

Vorletzten Sonntag gab es eine Extremnutzung des Bürgersteigs durch Gewerbetreibende und ich musste wieder auf die Fahrbahn ausweichen. Jetzt unterlässt es der KFz-Betrieb allerdings wieder, den Bürgersteig mit Kundenfahrzeugen komplett abzusperren. Hat ihm das Ordnungsamt auf die Finger gehauen? Bei der Drogerie musste ich mir selbst helfen, die hatte den Bürgersteig als Verkaufsaktions- und Warenlager verwendet und ich musste mir mit dem Fuße Platz schaffen. Verkäuferinnen sprangen herum kullernden Schampoo-Spendern hinterher. Hihi