Dieses Blog durchsuchen

Montag, April 19, 2010

Ludigel unter Schock. Gartenrestaurant belagert, Mund verätzt


Am Samstag wollte ich wieder wie jedes Wochenende mein Mittagessen mit Frau im "Roadies" (LINK) einnehmen, gemütlich im ruhigen Garten mit Long Island Tea als Absacker, bog also fröhlich pfeifend in die Straße ein, da traf es mich wie der Blitz. Ganz Taiwan hatte den Garten requiriert! Überall standen Betelnusspriem-kauende Vertreter der Arbeiterklasse herum, sie saßen rotköpfig auf Bordsteinen, standen auf dem Rasen, hatten Stände und Lautsprecher auf dem Rasen aufgebaut, überall waren Verkaufsstände wo Omas abgeschnittene Fußnägel in magischem Wasser eingelegt verkauft wurden als Fußpilzmittel, Schulkinder marschierten von einer Lehrerin geführt kreuz und quer über die Straße, alles lärmte und radaute und ein Verkehrspolizist regelte den Zugang zu meiner Oase der Ruhe. Die Götter hatten sich verschworen mir auch meine letzte Ruhestätte in einer großangelegten Invasion genommen - keine Zweifel habe ich, würde ich dereinst auf Taiwan beerdigt, mein Grabschrankfach im Friedhof würde ebenfalls entehrt, entweiht, geschändet und degradiert, so wie jetzt meine Ruhezone im Roadies.

Tinas Gulaschkanone (links)

"Reg dich nicht auf", sagte meine Frau und wischte mir vorsichtig den Schaum vom Mund und wir wendeten den Geländewagen und steuerten auf ein Restaurant namens "Tina" zu, das "gut" sein sollte, wie ein Bekannter gesagt hatte. Gut, der Bekannte findet auch japanische Video-CDs gut, da war also Vorsicht angebracht. Immerhin hatte er nicht "berühmt" gesagt, denn wenn ein Restaurant oder ein Food-Stall in Taiwan "berühmt" ist muss man 2 h auf das Essen warten und es ist auch keinen Deut anders als Anderswo.


Dorfstraße Longtan, Taiwan, Leuchtreklame wegretouchiert

Tina hatte Schweinshaxe mit winzig bisschen Leis für uns dazu aber zig Vorspeisen, alle schwer mit ätherischen Ölen und Essig gewürzt. Am Ende passierte das, was auch in einem Chemielabor passiert, wenn man zig Substanzen ineinander kippt: Etwas neues, Unerwartetes entsteht. Als ich leichtsinnigerweise die scharfe Soße des gebratenen Talgfladens mit dem ätherisch gewürzten Tee kombinierte, entstand in meinem Mund etwas Neues. Hinten Rechts auf der Zunge bildete sich eine Art Gasfontaine, die über mein Zahnfleisch schmerzhaft den Weg aus der Mundhöhle durch die Nase suchte und mein rechtes Auge zum Tränen brachte. Es war nicht scharf, was da im Mund wirkte, sondern ehr chlorgasähnlich und völlig ohne Geschmack, machte aber die Zunge taub und schränkte die Sicht ein. "Hochöfen werden mit Kalk abgelöscht", zog mir noch durch den Kopf, als mir vom Chlorsturm in meinem Mund ganz schummrig wurde und ich aß die Talgfladen pur, um damit den Reaktionsherd auf der Zunge zu löschen. In der Tat schaffte der Talg, was dem Wasser unmöglich war und ich habe das Essen überlebt. Im Spiegel in der Toilette besah ich mir das Malheur, hinten rechts ist meine Zunge ganz glatt geätzt.

Meine Frau fand mein Leiden lustig und hat eine Zehnerkarte für "Tina" gekauft. Seufz, in der Ludwigstraße in Hannover wäre eine Zehnerkarte für Tina sinnvoller - die könnte einem wenigstens dreißig Minuten Witze erzählen oder so.

Anschließend gingen wir ins Roadies, wo sich die Eingeborenen langsam wieder an die Heimreise machten. Die Wirtin erzählte uns, sie seien vom Vermieter gewissermaßen gezwungen, dieses Wochenende Gastgeber wider Willen zu sein und Horde hätte zwar laufend die Toilette benutzt, aber kein einziges Getränk verzehrt. Na ja, so ein Arbeiter isst halt für 80 Taiwandollar Reis mit sauer und Scharfem, aber kein Langnasenessen für 250 und trinkt keinen Eistee für 80, das ist schon klar. Schnell konnte ich mir noch einen Long Island Tee genehmigen, schützend neben mir stand der Wirt mit verschränkten Armen und hinderte die hart arbeitende Arbeiterklasse Taiwans am Näherkommen. Kurze Zeit später kamen die Mücken und ich musste beschwipst den Rückzug antreten. Ich wollte erst noch fahren, um mich gewissermaßen in das proletarische Umfeld einzufügen, nahm aber dann auf dem Beifahrersitz platz, während meine Frau mir wieder Luft zufächelte, denn der Alkohol im Long Island Tee fing an, mit dem Rest von ätherischen Ölen im Hals zu reagieren und ich bekam einen Hustenanfall. "Nächste Woche geht's wieder zu Tina", sagte sie kichernd.

Fotos: Harry Hachmeister.

Keine Kommentare: