"8"
Noch 8 Tage in der Republik China aka Taiwan aka Formosa. Nach so langer Zeit, seit dem 07.02.2004, kommt es mir merkwürdig vor, die Tage so schwinden zu sehen.
Es fällt mir schwer abschließende Worte zu finden. Denn eigentlich sind es zwei Taiwans die ich kennen gelernt habe. Oder eigentlich müsste ich sagen: Zwei Taipeis. Hier wo dieses Foto nahe dem 101-Hochhaus gemacht ist, war früher ein Viertel aus schlichten grauen Plattenbauten. Solche, die weiter weg noch heute stehen, haben meist vergitterte rostige Fenster. Hier zeigt sich der Trend zum Austausch durch neue bessere Gitter und "Fensterkisten" und alles wird sauberer und moderner. Oder wird eben gleich weg gerissen. Da meine Frau in den engen alten Schlichtgassen groß geworden ist hat sie eine Art Weitenangst entwickelt, die oft dazu geführt hat, dass wir daheim geblieben sind die ersten Jahre und sie die bekannten Gassen kaum verlassen hat. Meine eigenen Exkursionen wurden von ihr mit großer Nervosität gesehen und ich habe sie oft einfach unterlassen. Durch die Familieneinbindung in eine fast verbarrikadierte damals mit Chiang-Kai-Shek herübergekommende Familie - auch wenn meine Schwiegermutter eine "Taiwanerin" ist, aber eine streng-buddhistisch-religiöse - war das Leben in Taipei sehr viel anstrengender als es hätte sein können. In den Anfangsjahren dominierten Müllhaufen zwischen eng beieinander stehenden Schlichthäusern und Treppenhäuser stanken nach Urin und wurden eigentlich nie sauber gemacht. All das ist heute anders, von wenigen Schmuddelbauten abgesehen. Ich bin daher relativ erschöpft nach all den Jahren strenggläubiger Familie und auch gerade dem hektischen Verkehr, dem noch vor 2 Wochen fast Schwiegermutter und mein Sohn zum Opfer gefallen wären; ich berichtete damals.
Doch Taipei hat sich stark verändert und wurde immer angenehmer. Nur die schon fast biblische Verseuchung des Essens war in den letzten Jahren ein großes Problem für meine Gesundheit. Daher... ich werde Taiwan nicht nachtrauern, es ist nicht das richtige Land um alt zu werden. Smog, dichte Bebauung und Hektik wo immer man auch hin schaut beherrschen die großen Städte und ich verlasse Taiwan von daher gern. Auch wenn es in wiederum 10 Jahren vermutlich ein noch mal stark verbessertes Land sein wird.
Wer jetzt kommt, der hat schon ein deutlich saubereres Taipei vor Augen, denn selbst die alte "Platte" wird renoviert. Oder weggerissen.
Und ist die "Platte" in Maßen vorhanden, wird sie eben auch zum kulturellen Farbtupfer. Kurz gesagt, dass alte Taipei von 2004-2008 oder dergleichen war ein lebensfeindlicher Ort, das neue Taipei geht so und ist in vielen Ecken sogar nett. In der Retroperspektive dominiert bei mir das alte und schmuddelige. Wer jetzt kommt, erlebt nur noch Taipei light. Ich würde jedoch keinem empfehlen hier alt werden zu wollen, allein wegen der vielen Lebensmittelskandale. Und der Smog ist immer noch recht stark, wenn auch nicht mehr so betäubend wie 2004.
Taiwan war für mich so vieles. Gesundheitsgefährdent, aufregend im Guten wie im Schlechten, spannend und natürlich ganz anders als andere Länder die ich kannte. Ich vermisse es schon ein bisschen, jetzt wo sich die Reise dem Ende zuneigt. Denn gute Seiten hat es auch viele. Aber es ist wie ein anstrengender Ritt durch eine zu laute Geisterbahn. Man ist froh wenn man das Licht am Ende sieht und freut sich auf etwas Ruhe. Taiwan kracht und wummert uns noch auf den letzten Metern hinterher. Erst letzte Woche wären wir drei fast von einem plötzlich -ohne zu gucken- zurücksetzenden PKW überfahren worden.
Seit Jahren schon freue ich mich unbeschreiblich auf den Moment, wenn ich aus dem Flugzeugfenster gucke und Taiwan unter mir kleiner wird. Denn dann ist ein Kapitel im Leben abgeschlossen und man kann mit der sich fortschreitend positivierenden Rückschau beginnen. Und für die wird es wirklich Zeit. Oder stellen Sie sich vor sie mögen den Film "Lawrence von Arabien", der 3 1/2 Stunden läuft. Sind sie nicht doch froh, wenn der Abspann kommt?
Mein Resumee klingt nicht besonders flüssig, schon eher erschöpft. Und das entspricht auch meiner Gemütshaltung am Ende aller Taiwantage. Trotzdem werde ich es auch ein wenig vermissen. Die freundlichen Leute - abgesehen von den Anfangsjahren, als sie mir gegenüber oft in fast schon hysterisches "Ausländer! Ausländer!"-Herumkichern verfielen - die Nudelsuppe und ... den Seven Eleven in der Nähe.
4 Kommentare:
Hallo Ludigel,
als ebenfalls mit einer Frau aus Taiwan Verheirateter folge ich Deinem Blog seit Jahren. Es war für mich eine tolle Quelle an Einblicken, die man eben nicht bekommt wenn man nur sporadisch als Tourie in Taiwan ist. Ludigel, danke dafür! Xie xie ni!
Es ist schon komisch, ich habe in den Jahren viel von Deiner Erfahrung sehen dürfen und habe jetzt auch das Gefühl Abschied zu nehmen.
Falls es Dich wieder erwarten doch nach DE verschlägt und Du vielleicht in der Region Stuttgart nach Jobs suchst melde Dich doch. Auf ein Glas Wein, wir haben auch ein Gästezimmer wenn Du möchtest.
Ich wünsche Dir alles Gute und dass Eure Selbständigkeit sich gut entwickelt. Am dann noch östlicheren Rand der Erdscheibe.
Liebe Grüße
Martin
Mensch Lidigel,
Hast du denn auch ein Massband "immer am Mann"?
Stell mir gerade vor, wie du dir Passanten rauspickst und ihnen , dass bis zur 7 abgeschnittene Massband wedelnde vorhaltend, "7 DU KISTE" engegenbruellst. Dabei ein hysterisches Lachen im Gesicht....
Geniesse das Ende, mach das Beste draus
Gute Reise nach Deutschistan!
Da sind mir die Todesscooter und der choudoufu Gestank schon lieber.
Auch ich sage danke, wenngleich ich nur sporadisch mitgelesen habe. Ich bin ja schon seit 1982 da (insgesamt 24 J., also mit Pausen), kenne das Ganze nochmals anders, und die letzten 18 Jahre verbrachte ich in der Pampa, ganz im Süden. Taibei ist mir inzwischen zu steril und westlich geworden, im Süden liegt vieles noch sehr im Argen. Auch bei mir macht sich (wegen Erfahrungen im Staatsdienst und als Hausbesitzer) Ernüchterung samt Erschöpfung (Somemrhitze) bemerkbar, ich werde in 2, 3 Jahren nach DL zurück siedeln. Viele Dinge sehe ich anders als Du, aber einig sind wir uns hier: TW ist kein Land zum Altwerden!
Alles, alles Gute!
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