Die Kandidatin Tsai Ingwen von der bisherigen Oppositionspartei DPP wurde am Samstag bei der Präsidentschaftswahl der Republik China, die wir umgangssprachlich "Taiwan" nennen, zur ersten Frau auf dem Präsidentenstuhl in Taipei gewählt.
Frau Tsai hat 56% bekommen, der KMT-Kandidat Chu 31% und das ehemalige KMT-Urgestein James Soong mit eigener Partei PFP kandidierend 13% (korrigiert*). Die bislang regierende KMT hatte sich im Vorfeld der Wahl selbst zerlegt, indem sie erst mit der extrem pro-VR-China - Kandidatin Hung angetreten ist, die jedoch kurz vor der Wahl gegen den moderateren Chu ausgetauscht wurde.
Das Wahlvolk in Taiwan hatte die Wahl zwischen einer durch Tsai vertretenen moderaten "Unabhängigkeitslinie", die natürlich die faktisch schon längst existierende staatliche Eigenständigkeit "Taiwans" (eigentlich: Republik China) beibehalten will und ein bisschen mit der Umbenennung in "Republik Taiwan" und dem Schlussstrichsetzen unter die alte staatliche Verknüpfung zum chinesischen Festland flirtet. Ohne dies wirklich in die Tat umsetzen zu wollen, weil die VR-China dem friedlichen Taiwan für diesen Fall mit Krieg und Invasion droht.
Mit Chu von der KMT stand als Alternative jemand zur Wahl, der Taiwan auch politisch eher eng an China halten wollte, aber offenbar Extrema wie eine Fusion der VR-China mit Taiwan vermeiden wollte. Soong als Ex-KMTler war eine andere Variante dieser Politik, bei dem man auch viel prochinesisches in der Vergangenheit finden konnte.
Demographisch hatte die KMT das Problem, dass sich ein Pro-VR-China Kurs immer weniger bei jungen Leuten in Taiwan durchsetzen kann, weil diese eben im freien Taiwan groß geworden sind und an freie Meinungsäußerung, Facebook und Google denken, statt sich irgendwie einem alten chinesischen Vaterland hinterher zu sehnen, aus dem vielleicht einst ihr Großvater vor den Kommunisten geflohen ist.
Der letzte Präsident, Ma von der KMT, hatte Taiwan eng wirtschaftlich an die VR-China gebunden und dafür Massenwohlstand versprochen, der freilich nur bei den Eliten spürbar war und für die Bevölkerung ausblieb. Seine ursprünglich geplante "politische Union" mit der VR hat er nicht durchgeführt, auch wegen massiven antichinesischen Protesten der Jugend.
Edit: Bisherige Präsidenten der "Republik China auf Taiwan":
2008-2016: Ma Ying-Jeou, KMT. Wirtschaftliche Annäherung an die VR-China, Massenproteste von Jugendlichen dagegen
2000-2008: Chen Shui-Bian, DPP. Volksabstimmung zur vollen Souveränität einer "Republik Taiwan" auf dem Programm gehabt, aber nicht durchgeführt. Verurteilung und jahrelange Inhaftierung nach Amtszeit wegen massiver Korruption. Mittlerweile aus gesundheitlichen Gründen auf freiem Fuß.
1988-2000: Lee Teng-Hui, KMT. Frei gewählt erst ab 1992 (Parlamentswahl) bzw. 1996 (Direktwahl des Präsidenten). Einführung freier Wahlen, Hui wird oft als "Vater der Demokratie Taiwans" bezeichnet.
1978-1988: Chiang Ching-Kuo, KMT. Sohn von Chiang Kai-Shek. Hat den harten diktatorischen Griff der KMT auf Taiwan etwas gelockert.
1975-1978: Yen Chia-Kan, KMT. Übergangsfigur nach Chiang Kai-Shek.
Mit Diktator Chiang Kai-Sheks Flucht vor den Kommunisten vom chinesischen Festland 1949 auf Taiwan (seit 1895 von Japan beherrscht) begann dann die auf Taiwan existierende Republik China, die 1911 auf dem chin. Festland ausgerufen worden war. Chiang Kai-Shek selbst hatte den Präsidententitel formell nur von 1948-1949 inne, gab aber auch nachher den Ton an.
* Ursprünglich hatte ich hier Werte einer Hochrechnung wiedergegeben.
2 Kommentare:
Tsai Ing-Wen stammt übrigens aus einer extrem reichen Oberschichtsfamilie. Anscheinend ist sie das 11 Kind einer Nebenfrau ihres Vaters, der wohl auch unter den Japanern gut im Geschäft war. Kein Wunder, dass sie die KMT nicht sonderlich mag.
Und offenbar haben die Taiwaner das Tsai-Ergebnis hier im Blog kopiert. Brav ;-)
Kommentar veröffentlichen