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Mittwoch, Mai 21, 2014

Im 6. Gang nach Lukang

Trip mit dem Auto und wegen dem Auto nach Lukang, einer schönen alten Stadt in der Nähe von Taichung

Ziel von Frau und mir im Jahre 2014 ist das verstärkte Bereisen von Taiwan, das wir in den vergangenen Jahren fast völlig aufgegeben hatten. Sicher auch wegen langer Arbeitstage, resultierender Müdigkeit am Wochenende und der Tradition in meiner Taiwanfamilie, die eigenen vier Wände nur zum Broterwerb und Essenkaufen zu verlassen - eine Tradition, die sich wohl aus vergangenen schwierigen Zeiten erklärt. Einer unseren ersten Trips unserer neuen Reisephase jedenfalls führt uns nach Lukang in Mitteltaiwan an der Westküste gelegen (http://rtaiwanr.com/2/Taiwan/lukang). Grund für die Reise war freilich, dass unser neuer Volvo, der im Dezember 2013 das altgediente Nissan - Ludigelmobil ersetzt hatte, ein Kamerasystem bekommen sollte, das nach dem Blackbox-Prinzip Verkehrsgeschehen und Stimmen im Innenraum aufzeichnet. Man darf also nicht mehr "Warte, ich erwisch Dich doch noch, du Lexus-Sau" brüllen, bevor man einen anderen Verkehrsteilnehmer rammt. Oder wenn, dann nur auf Deutsch. Aber natürlich könnte man die Flashcard entnehmen, sollte man das wollen.

Bei diesen Blackboxen hat man einen dicken Innenspiegel (der sich praktischerweise gleich automatisch abblendet) und mehrere angeschlossene Kameras, die vorne und ggf. an den Seiten und nach Hinten alles aufzeichnen in einem Kombibild, das man hier auf dem oberen Spiegel im Bild erkennen kann. Im wilden Verkehrgeschehen in Taiwan ist soetwas beliebt und praktisch.

Nun hatte auch schon unser Altwagen so ein System der Marke WITNESS, aber weil eine Kamera ausgefallen war und sich der Installateur in Taipei weigerte, es zu reparieren und nur einen Komplettneueinbau machen wollte, sind wir einfach zur Hauptvertretung der Marke Witness nach Lukang gepilgert und haben so dem pfiffigen Herrn in Taipei das Geschäft missgönnt und einen schönen Ausflug gemacht - und haben gleich eine neue Version des Kamerasystems mit einer Kamera mehr einbauen lassen. Ach ja, man muss das Ding schon im Auto befestigen und nicht am Computermonitor im Büro, wie hier im Bild ;-)

Dynamische Techniker machten sich sogleich in Windeseile an mein noch nicht ganz zielsicher geparktes neues Auto und bauten vorne, hinten und an den Seiten Kameras an. Etwas unschön nur diesmal die Stromversorgung, die über den Zigarettenanzünder läuft. Das hatte der geschäftstüchtige Lizensnehmer in Taipei geschickter gemacht. Aber wenn ich mich recht erinnere, hätten sie das auch besser anschließen können, hätte nur länger gedauert oder dergleichen. Aber wir wollten ja noch die Altstadt angucken.

Toll der Warteraum mit Gratistheke. Hier gab es eine riesige Auswahl an Keksen und obendrein Fertignudeln und Tee. Meine Frau ermahnte Junior und mich mehrfach, uns nicht mit endlos vielen Keksen vollzustopfen. Na ja, wann kann man schon mal so ein Sortiment durchprobieren. Aber gut, die Käsecracker hatten dies orange Pulver außen dran, das so gruselige Flecken gibt.

Doch dann fuhr mir der Schreck in die Glieder, als in den nationalen Fernsehnachrichten plötzlich MEIN WOHNBLOCK aus dem fernen Taipei zu sehen war...

Det is doch da der Stinky-Tofu-Laden unten bei uns im Haus. Was hat der in den Fersehnachrichten zu suchen?

Der Bericht hatte mit der alten Dame zu tun, die immer in der Kreuzung neben unserem Mietshaus eine wilde Müllverwertung betrieben hat und offenbar nächtens auf der Kreuzung angefahren worden war und seither im Koma lag. Sie verstarb wohl einige Zeit später (http://osttellerrand.blogspot.tw/2013/12/tod-vor-der-hausture.html). Kurz nur die Bemerkung dazu hier, dass man Taiwanern natürlich in ihrem angestammten Viertel keine "preußische" Verkehrsdisziplin beibringen kann - damals hatte mir der Bericht Vorwürfe eingetragen, mich nicht um die ältere Dame und ihre Sicherheit gekümmert zu haben. Die Einheimischen machen eben doch was sie wollen in ihrer eigenen Heimat und auch wenn man da öfter mal verkehrstechnische Bedenken hat, man sieht nur schweigend zu - als Außenseiter könnte man auch nicht wirklich etwas machen.


Alsbald widmeten wir uns wieder dem Studium der Beschreibung des Kamerasystems, hier an einem taiwanischen "Luxgen" vorgeführt. Dieser SUV ist in Zusammenarbeit mit Nissan und Renault entstanden und war für 850.000 NT damals zu haben, also unter 18.000 Euro oder so mit 2.2-Liter 170-PS-Turbo und Allrad. Aber mir war die Kiste mit dem Lexus-artig geschwungenen L-Logo immer zu schwülstig im Aussehen.



Hier noch der Hinweis, man dürfe mit dem neuen Kamerasystem nicht am berühmten "Taipei-101"-Hochhaus mit seinen 101 Stockwerken vorbeifahren (rechts im Bild).

Kleinstadtromantik in Lukang, hier mit "Hyundai Zombie-Killingmaschine" in Silber im Vordergrund.

In den engen Gassen...


... gab es dann prompt einen Zwischenfall. Meine Gattin rief mich plötzlich zu Hilfe über das Handy, während ich mit dem Kinderwagen nachgekommen bin (sie war schon voraus)...

... und sicher wieder zu viel Zeit mit Fotografieren zugebracht hatte.

Meine Frau fühlte sich von zwei Herren bedroht, zu denen im eigentlich friedlichen Taiwan noch ein dritter dazugerufen wurde per Handy und die sich dann schnellen Schrittes näherten von hinten und auch ihren Schritt beschleunigten, als sie schneller wurde. Nun hatte sie Junior auf dem Arm, der von Taiwanern immer als "kleiner Ausländer / xiao waiguoren" bezeichnet wird (wohl wegen des braunen Haares, obwohl er ja ebenso Taiwaner wie Deutscher ist). Da sind die Taiwaner oft neugierig, machen öfter mal Fotos und bewundern Junior als "hao ke ai"/ach wie niedlich. Nur die Herren seien sehr unfreundlich gewesen, sagte meine Frau. Hatte meine Frau auch eine Dosis des Anti-Johnny-Weißbrot-Klimas auf Taiwans Straßen mitbekommen, das ich damals im Fahrwasser des "britischen Todesfahrer"-Skandals zu spüren glaubte? Taiwan ist eigentlich gastfreundlich gerade "weißen" Ausländern gegenüber. Nur im Fahrwasser großer Presseberichte gegen einzelne (echte oder aufgebauschte) Skandalnudeln eben mal kurzzeitig nicht.

Vielleicht war aber auch alles nur ein Missverständnis in schmalen Gassen. Ich jedenfalls kam zu spät, meine Frau hatte schon Zuflucht in einem Privathaus gefunden. So blieb es mir erspart, einen der drei Herren am Fußgelenk in der Luft kreisen lassen zu müssen, um die anderen beiden im Schach zu halten. Oder irgendwie so.

Nett jedenfalls die Altstadt von Lukang. Meine Frau sprach das so völlig anders aus, dass ich mir mit dem Ortsnamen nicht sicher bin, aber "Lukang" war jedenfalls in lateinischen Lettern auf einem Touristenhinweisschild zu lesen.

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Man denkt, vor ein paar Jahrhunderten hätte so ein Hauseingang ganz genauso ausgesehen. Sans die Mopeds.

Tomaten und Erdbeeren in Zuckerguss.

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Laut einschlägiger Literatur soll ja eine Methode zur Zeitreise sein, eine Stelle, die sich über die Jahrhunderte kaum verändert, längere Zeit zu fixieren und sich in die Vergangenheit hinein zu denken. Also schnell wieder weg-geguckt bei so unheimlich alten Hauseingängen.

 Welcher rotäugige Gott wird hier in diesem Tempel verehrt?

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Die leckeren Essensauslagen versetzten jedenfalls meine Frau in Entzücken an den zahlreichen Ständen.

Das ... äh.... Gemüsestrangzeug links im Bild war jedenfalls "famous", die Familie hatte es schon in einer Fernsehshow in Taiwan vorgestellt, wie das Foto verdeutlicht. Links in Blau das ist nicht etwa ein TV-Star sondern die Tochter des Hauses. Das mit dem Showstarjob könnte sie aber sicher auch noch gleich mit erledigen, so fotogen wie sie auf dem Bild wirkt. Wer solche grauen Gemüsestränge verknödeln kann, der kann alles.

Buntes Gebäck, in Taiwan ja manchmal mit Fleisch oder ungewürztem Eigelb gefüllt, ganz nach Schiwegermutters Geschmack und für sie gleich mitgenommen.

Bilder aus dem Tempel im Hintergrund demnächst, da hat meine Frau schnell die lokalen Gottheiten um ihren Beistand gebeten. Und Sie können Lukang ruhig besuchen, Taiwan ist wie gesagt friedlich und gastfreundlich, sicher war auch alles nur ein Missverständnis in dunklen Gassen unter den Augen des rotäugigen Gotttes ;-)

Fototechnisch: Sony Alpha 850 und Tokina AF 2.8-4.5/28-70mm, letzteres ein kleines und leichtes Kompromissobjektiv, das gut ist, wenn man sich mit einer Hand um Junior kümmern muss.

 ***

Edit: Hier noch ein paar nachgereichte Bilder:


 ... und iranische Trank-Spezialitäten, wenn auch leider gerade nicht lieferbar, als wir danach fragten.

4 Kommentare:

Miri hat gesagt…

:-)

Und bin ganz begeistert, kann schon einige der Schriftzeichen lesen, obwohl ich momentan kaum zum Mandarinlernen komme... ;-)

patrick_Secret hat gesagt…

es heist luu gang ;-)
war auch schon ein paar mal dort
interessanter tempel und geschäfte.

Anonym hat gesagt…

Hm. Das Lukang hat vor ein paar Jahren noch netter ausgesehen. Irgendwie sieht das heute sehr taiwanisiert aus: verottete Markisen, olle Klimaanlagen, doofe Werbung, gammelige Scooter vor alten Fassaden und ein zugeparkter Tempel. Schade eigentlich, dass Eigentümern und Besitzern das Gefühl fehlt. Und so lange die Kasse klingelt, kann man sich auf dem Lugang-Image ausruhen.
Gruß Luo You

"Ludigel" hat gesagt…

Haha, meine Maßstäbe sind eben Schlichthausviertel-mäßig niedrig ;-)