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Montag, März 20, 2017

Bitte zahlen für ein nicht vorhandenes Auto

Abenteuer auf dem taiwanischen Gebrauchtwagenmarkt

Frau und ich wollen ja diesmal ein eher kleines Auto kaufen. Damit sie es ggf. auch allein fahren kann wegen ihrer Tendenz, bei zu großen Autos in den Kurven manchmal irgendwo hängen zu bleiben. Die Breite ist wohl das Problem. Trotzdem hat meine Frau dann gegen kleine Autos etwas einzuwenden und guckt immer wieder nach Riesenschlitten. Weil ich aber wegen unserer recht chaotischen Hin- und Herwanderung zwischen Taiwan, Philippinen und Deutschland und dem damit verbundenen automobilen Verkaufs- und Neukauf und In-Garagen-unbenutzt-herumsteh-Chaos nicht gleich wieder viel Geld zu Neuwagenhändlern tragen will, haben wir uns auch Gebrauchtwagen angesehen. Natürlich große mit viel PS, was anderes sucht Frau gar nicht heraus.

Ein Mercedes C250 sollte es sein (so richtig kompakt ist der schon lange nicht mehr) oder ein A6, hübsch angepriesen auf Gebrauchtwagenseiten im Internetz. Wir landeten dann in einer der üblichen grau-hässlichen Simpel-Mini-Plattenbauvorstädte in einer kleinen Butze, in der man wie gewohnt die Schuhe vor der Türe stehen lassen musste. Zu meiner Verwirrung war von Autos nirgends etwas zu sehen, aber schon eine ganze Zeit vorher hatte ein Mopedfahrer uns auffällig-unauffällig beschattet und unsere Position per Handy an irgendjemanden durchgegeben, als wir noch die Adresse suchten.

Drinnen beim "Händler" ein paar Cubical. Unser "Händler" trug einen krawattenlosen schwarzen Billiganzug, was ihn wesentlich unseriöser aussehen ließ, als hätte der Bermudashorts getragen. Blues Brother ohne Blues, sozusagen. Dafür ewig lächelnd. Im Cubical bekamen wir dann einen langen Vortrag über ein Qualitäts-Zertifikat des Mercedes C250, das außen und innen und die Prüfung auf (nicht) gespachtelte Unfallstellen und den Zustand beinhaltete. Soweit so gut, aber wo war nun die verdammt Karre?

Über dem Cubical Fotos von einem riesigen Parkplatz mit tausenden Autos. Ein Büro mit riesigem Bildschirm wie das Raketenzentrum in Huston, war auf den Fotos zu sehen. Da keimte schnell ein Verdacht bei mir auf. "Die wollen mit tollen Fotos und selbstgebastelten Formularen hier auf seriös tun, haben aber gar kein Auto da!". Also alles nur Abzocke?

In der Tat sollten wir dann alsbald die vorher genannte Vorabgebühr/Anzahlung von 30.000 NT zahlen (etwa 800 Euro), die auch wirklich in meiner Bauchbinde zu finden war. "Ohne das Auto zu sehen?", fragte ich verdutzt meine Frau. Die bestätigte. Da grinste der "Diamantenhändler" in seinem schwarzen Anzug süffisant und sagte zu Frau und uns begleitendem Freund und Kollegen Will auf Chinesisch: "Was will er denn den Wagen sehen, ihr Mann? Wenn er ihn sieht, sagt er doch sowieso nur beautiful, beautiful", wobei unser kleiner Komiker das "beautiful" auf Englisch aussprach und offensichtlich nicht damit rechnete, dass ich seinen Satz in der hiesigen Stammel-Lispel-Sprache namens Mandarin auch verstehen konnte. Ich lächelte debil, wie es die hiesigen pfiffigen Menschen von einem debilen Ausländer erwarteten und sah mich unauffällig um, was denn als Waffe verwenden konnte. Denn unterdessen hatte sich eine größere Gruppe junger Männer zwischen uns und dem Ausgang aufgebaut, wo sie ihrerseits auf einen Computerbildschirm starrten und eifrig Gebrauchtwagen diskutierten. Die es sicherlich auch gar nicht gab oder jedenfalls nicht in ihrem Besitz, so schien es mir.

Wollten die uns mit einer Scam-Geschichte an die Brieftasche? Es gab offensichtlich einen Hinterausgang, direkt neben mir. Möglicherweise war der aber zugeschlossen. "Also doch lieber den Weg zur Fronttür freikämpfen", dachte ich mir. "Vorsicht vor den rotlackierten Krallen der Sekretärin", war eine gedankliche Randnotiz. "Man weiß ja nie wegen Infektionen". Wie aber den Rückzug taktisch gestalten durch den Pulk der Gott sei Dank schmaltalierten und modisch frisierten jungen Männer hindurch? Mehr als die Miezekatze (eine echte, keine Sekretärin) als Wurfgeschoss zu verwenden, fiel mir aber nicht ein, richtige waffenähnliche Gegenstände gab es nicht. Außerdem müsste man nach erfolgreicher Flucht noch mal zurück, alle noch mal verprügeln um sich dann die beim ersten Mal vergessenen Schuhe wieder anzuziehen. Ich gluckste vergnügt vor mich hin und freute mich schon auf ein bisschen Feierabend-Sparring vorm Abendbrot, da schlug zu meiner Verblüffung der Diamantenhändler vor, sich die Gebrauchtwagen doch auf einem nahegelegenen Gelände anzusehen.

Ich vermutete natürlich sofort irgendein abgelegenes Gelände, wo es uns schlussendlich an den Kragen gehen sollte, allerdings war mir aus taktischen Gründen ein Ortswechsel doch willkommen. "Oder du hast nur zu viele taiwanische Fernsehserien gesehen, wo sie immer auf Wellblechhinterhöfen mit Eisenstangen auf Leute einschlagen", wand mein Großhirn ein.

Also vorne durchs Büro durch. "Bye bye" winkte die Sekretärin uns zu mit ihren roten Fingernägeln und die beiden Miezekatzen (wie gesagt keine Humanform sondern wirklich fellin) im Hinterzimmer stritten sich um ein Wollknäul. Draußen hörten wir dann, den C250 oder den Audi A6 gebe es aber nicht auf dem Parkplatz, der sei noch "bei der Bank", weil vom ursprünglichen Besitzer nicht abbezahlt. Aber ganz ähnliche Karossen habe man ganz in der Nähe.

Nach dem in Taipei unvermeidlichen Treten in Hundekacke und dem anschließenden Säubern an gut geschnittenen Hecken standen wir auf einem Trümmergrundstück gleich neben einem Prunk-Bürobau und ich sah schwermütig auf gelblich angelaufene Scheinwerfer von mindestens 10 Jahre alten automobilen Träumen der 90er und frühen 2000er. Nur ein VW Tiguan sah mit seiner Kreidebeschriftung so aus, als sei er gerade von einem Autotransporter "gefallen". "Wahrscheinlich fehlt der jetzt irgendwo", dachte ich. Aber den Tiguan wollte Frau nicht, wegen den Problemen mit dem DSG-Getriebe hier am Assturban der Welt namens China/Taiwan.

"Welchen willst Du denn?", frage meine Frau.
"Das Taxi da drüben!", sagte ich und bemerkte, dass es doch ohnehin Abendbrotzeit sei. Und der krawattenlose Bluesbrother würde ja auch ohne uns klarkommen. Mit seinen Katzen und den tollen Fotos von nichtvorhandenen Autos.

Also wanderten wir zurück. Frau wollte nicht das Taxi sondern lieber den "Uber"-Fahrdienst, der in Taiwan regierungsseitig mittlerweile verboten ist und den es nicht mehr gibt. Mit dem man aber immer noch fahren kann. Nur ohne die Uber-App sondern per Uber-Ruf per Chat-Applikation.

Auf das nicht existierende Uber-Auto an der Kreuzung wartend (ich unter Mundschutz dem Smog halber) wurden dann weitere Details des Deals offenbar, die uns der immer noch lächelnde Bluesman des Gebrauchtwagenbusinesski vortrug.

Wir sollten erstmal 30.000 NT zahlen ohne den C250 gesehen zu haben. Dann würde unser James ohne Belushi mit der Bank verhandeln ob wir das Auto auch kriegen. Wenn ja, sollten wir den vollen Kaufpreis von 700.000 NT für den 2010er C-Klasse Benz gleich bezahlen plus 8% Provision***. Und dann das Auto kriegen irgendwann. Ich lehnte dankend ab, unterließ es dem Herrn beim Abschied zu sagen, dass sein Anzug "beautiful" sei und freute mich auf das Abendbrot und das Schreiben eines Blogartikels über unseriöse taiwanische "Gebrauchtwagenhändler" und Scam-Artisten.

Doch mehr und mehr wurde auf meine insistierende Nachfrage deutlich, dass offenbar doch alles mit rechten Dingen zugegangen war. Die Autos von denen die Rede war, waren nämlich von "Repro-Men" beschlagnahmte und der Bank übergebene nicht abbezahlte Autos. Oder Autos die von Schuldnern beschlagnahmt wurden, weil diese sich mit dem Hauskredit verhoben hatten oder desgleichen. Dann lässt die Bank das Auto schätzen (daher die Fotos von der Schätzinstitution!) und die Karre bekommt (allerdings ohne Probefahrt gemacht zu haben) seine Evaluierung mit A,B,C... und dem tollen uns gezeigten Formular. Die Autos werden dann versteigert. Aber nicht Privatleute gehen dort hin (wie das in Deutschland durchaus möglich ist beispielsweise) sondern nur schwarze Anzüge tragende Agenten wie unser fröhlicher Bluesbrother. Und die bezahlt man dann, ohne den Wagen je gesehen zu haben.

Wir werden es lassen. Aber in Unkenntnis des Gesamtbildes habe ich dem schwarz gekleideten Herrn, der Sekretärin, den beiden Mietzekatzen und den modisch frisierten jungen Männern der Agentur Unrecht getan. Wofür ich mich hiermit herzlich entschuldige. Hat er also doch Recht, der Verkäufer. Man soll als Ausländer nicht auf dem Ansehen von Gebrauchtwagen bestehen und dann "beautiful" sagen, sondern einfach schweigen und sofort die Brieftasche aufmachen und zahlen.

Oder man geht eben essen, wie meine Frau und ich. Geht auch.


*** Nicht erwähnt von ihm: Auch evtl. noch angefallene Strafmandate des letzten Fahrers muss man übernehmen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wai-Guo-Rennt-weg schrieb:

Beautifully written!