Auf meiner Foto-HDD sind die meisten Einträge mit der Jahreszahl als Präfix sortiert. Der älteste steht etwas heraus, er lautet "1939-45". Es ist die Digitalisierung der Kriegsfotos meines Onkels.
Einst sollte es der Anfang einer "Harry's War" - Reihe hier im Blog sein, kam jedoch nie über den ersten Beitrag hinaus. Kurz vorm Blogende soll daher hier die summarische Abarbeitung erfolgen.
Harry H. war immer mein Lieblingsonkel. Ein breitschultriger großer Mann mit tiefer Stimme, der athletisch gebaut war, Tennis spielte, eine Jacht auf dem Steinhuder Meer hatte, mit Tantchen im Bungalow dort lebte und weiße amerikanische Cabriolets mit roten Ledersitzen fuhr. Schon früh ist er verstorben, äußerte eines Tages nach dem Genuss des Frühstücks, er habe plötzlich wieder großen Hunger bekommen und begab sich in die Küche. Er kehrte niemals zurück und wurde tot neben der Brötchentüte gefunden - Herzinfarkt. Da war er gerade mal 64, wenn ich mich recht erinnere. Seither sehe ich Brötchentüten immer mit einem gewissen Respekt an.
Tante "Olli" wie wir sie nannten hieß eigentlich Olga und hatte ein osteuropäisches Aussehen. Unvergessen ist mir, wie sie mich einst lange nach dem Tode ihres Mannes Harry H. kritisierte, als ich sie abholte zum Familientreffen und mit dem neu erworbenen weißen 3er-BMW vor fuhr, den ich damals gefahren bin. Er hatte schnöde graue Stoffpolster im Inneren. "Wenn du das nächste mal einen weißen Wagen fährt, dann siehe zu, dass er rote Sitzpolster hat", bemerkte Olli stirnrunzelnd beim Einsteigen.
Eine grundlegende Veränderung erfuhr das positive Bild meines verstorbenen Onkels, als Olli irgendwann sagte: "Du machst doch Fotos... hier ist das Fotoalbum von Harry.". Nun war das Paar aus Onkel Harry und Tante Olga aka Olli integraler Bestandteil meiner Kindheit gewesen - einst hatte ich in ihrem Bungalowgarten laufen gelernt, als ich mich selbsttätig an die Verfolgung ihrer Hausschildkröte gemacht hatte. Aber dieses Fotoalbum von Harry H., das hatte es in sich.
Ganz zu Anfang macht sich Harry in dem Album aus lauter kleinformatigen Fotos, die kaum zu erkennen sind im Original wegen der Größe, nach Stuttgart auf. Doch seine Reise wird ihn in ferne Länder bringen und am Ende bringt er sich möglicherweise noch Olga als Gattin mit. Auch wenn das in seinem Fotoalbum nicht auftaucht. Und hier kann der geneigte Leser einen Zusammenhang zum Taiwanblog konstruieren. Auch Harry hat ferne Länder bereist und nicht nur Stuttgart. Irgendwie so.
Was den Zweiten Weltkrieg (2WK) angeht, so kenne ich Geschichten von überlebenden deutschen Soldaten, die von erfrohrenen Gliedmaßen, Schussverletzungen und ähnlichem handeln. Einen Verwandten von mir hat es in französischer Kriegsgefangenschaft in Afrika zerlegt. Er ist seinem letzten Brief nach zu urteilen in einem mit Holzlatten überdachten Erdloch bei 50 Grad vermutlich erstickt. Bei Harry jedoch war das alles anders. Sein Fotoalbum erweckt den Eindruck als sei alles ein großer Spaß gewesen. Inklusive der Kriegsgefangenschaft, in der er weiter Fotos gemacht hat und die eher wie ein Frankreichurlaub wirkt. Ich weiß nicht, ob ich ihn verachten oder bewundern soll.
Krieg hieß für Harry H. auch, Spaß mit fremden Autos zu haben. Erst jetzt beim Schreiben habe ich gesehen, dass einer der Soldaten im Bild offenbar andeutet zu urinieren. Gut, Herrenhumor. Mein Onkel mit weißer Hose und Mütze lacht im Bild darüber. Im nächsten Bild fahren sie mit einem Cabrio durch Polen und haben alle offenbar viel Spaß. Vieles spricht dafür, dass die Autos einst polnischen Unternehmern oder Rechtsanwälten oder Ärzten gehört haben. Solche Leute wurden oft von der Wehrmacht ermordet. Schließlich sollten die Polen ein "Sklavenvolk" werden und keine Intellektuellen mehr haben.
Abstoßend finde ich dieses Bild. Wenn man schon am Überfall auf fremde Länder mit verarmter Landbevölkerung teilnimmt, deren Existenz man durch Beschlagnahme von Agrarprodukten gefährdet, muss man sich dann noch unbedingt über die Urbevölkerung lustig machen und den Herrenmenschen markieren? Hier war er schon nach Russland weitergezogen, das Album ist reichlich durcheinander.
Hier passend dazu das "Lied der Landser", dass man zur Melodie von "Nordseewellen" singen soll. "Wo die Menschen kleben fast vor Dreck und Speck, hat man seit Neuestem Landser hingesteckt" heißt es hier und auch sonst ist das Liedchen wenig freundlich. Der Refrain lautet: "Und die Landser beten überall das Gleich. Herr im Himmel, schick uns heim ins Reich."
Das Bild rechts ist nicht für jedermann, offenbar sitzt da jemand kopflos am Steuer, was diesmal wörtlich gemeint ist. Es ist das einzige Bild von grauslichen Dingen im Fotoband, sieht man von Leichen russischer Soldaten - aus größerer Entfernung - ab.
An Soldatenfolklore und Bildern von Feiern fehlt es nicht.
Selbst eine Geburtstagskarte handgemalt an Kamerad "Mamatischi" vom "FG.Trupp 735" ist überliefert.
UPDATE: Ob sich "Mamatschi", hier mit dargestelltem Pferde, auf das Lied "Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen" bezieht, das Heintje im Jahre 1969 gesungen** hat? Vermutlich ist das Lied schon etwas älter. Aber das soll hier nun wirklich nicht ausgeführt werden.
Der zugehörige Oberst* "Harry von Arnim" wenn ich das richtig lese, hat hier sein Grab.
Ein Gedicht über "Soldatengräber im Osten" legt nahe, dass man, wenn man dort in der Zukunft zwischen reifen Feldfrüchten dahin schwebt, sich kurz respektvoll vor den deutschen Soldatengräbern verneigt. Die dem Land auf ewig ihren Stempel aufrücken oder etwas in der Art - siehe oben.
Auch ein kompletter Kriegsberichterstatter - Text zur Frontlage ist dabei. Anklicken vergrößert (je nach Browser verschieden zu handhaben).
Der Chef der ganzen Chose kommt zum Schluss auch noch vor. Der Herr General beim Freundlichtun mit russischer Familie...
"Unser General" erinnert mich an Waschmittelwerbung. Jau, der Haarschnitt.
Bedrückend die Fotos "poln. Juden" wie unter dem Bild steht. Hier wirkt noch alles recht normal. Ich stelle mir meinen Onkel auf dem Dorfe mit der Kamera vor und wie immer lächelnd macht er Fotos von den auf ihn wohl exotisch wirkenden Menschen.
Weil er bei den Feldjägern war - und es aus diesem Grunde wohl recht bequem hatte im Krieg - wird er sich wohl beim Fotografieren schon gedacht haben, dass die fotografierten Menschen ihr Leben verwirkt hatten durch die Gegenwart von ihm und seiner Kameraden. Vermutlich wird er daran auch aktiv mitgewirkt haben. Ein sehr verstörender Gedanke über den "Lieblingsonkel" meiner Kindheit. Eine Rechnung dafür hat er nie bekommen. Es war ja schließlich ein Brötchen und kein alliierter Richter, der ihn vorzeitig ins Jenseits befödert hat.
Als Feldjäger musste er offenbar auch einmal einen Freund (?) und Kameraden zum Tode befördern oder war jedenfalls teil des ganzen Prozederes. Heinz Sch., dessen Nachnamen ich geschwärzt habe, ist hier mit seiner Braut zu sehen und wurde später wegen Fahnenflucht 1941 erschossen. "Ich war dabei" hat mein Onkel angemerkt. Man hätte dem netten Paar im Bild ein angenehmeres Leben und eine gemeinsame Zukunft gewünscht. Bis heute sind Fahnenflüchtige Hitlers übrigens nicht rehabilitiert, soweit ich weiß. Ob seine Angehörigen erfahren haben was passiert ist? Und was hat Heinz Sch. zur Fahnenflucht bewogen? Es ist in den Nebeln der Zeit verloren.
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Zerstörtes Warschau und russische Kriegsgefangene. Vermutlich ist es das letzte Foto, das von vielen jemals gemacht worden ist. Denn sie bekamen so wenig Nahrung, dass sie oft verhungert sind.
Anfangs sieht man viel zerstörtes russisches und polnisches Kriegsgerät, oben rechts ein vernichteter russischer Panzer nebst toter Besatzung.
Am Ende dann auch zerstörtes deutsches Kriegsgerät.
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Bis 70 km vor Moskau ging die Reise. Zeit auch mal nett zu sein zu den Einheimischen.
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Für andere Kriegsteilnehmer war der 2WK wohl weniger gemütlich. Harry H. allerdings...
... hatte offenbar ein "eigenes" Haus anstatt wie andere in der Baracke zu leben.
Verblüffend freilich der Schluss. Mein Feldjäger-Onkel war ja nun definitiv kein Matrose.
Trotzdem hatte er am Ende ein Matrosenoberteil an oder was immer das ist und ist offensichtlich mit seinem Gastgeber, dem Herrn Renaud in Sharaux richtig befreundet. Und mit seinen Kumpels hat er weiter Fotos gemacht. Sogar eine kurze Hose hatte einer an, ganz urlaubsmäßig beim vom Hitler finanzierrten Urlaub in Frankreich und der von den Alliierten getragenen Verlängerung. So mit richtig Komfort macht auch der 2WK Spaß. Ach wäre es doch so schön für alle gewesen. Später hat Harry H. noch oft Urlaub in Frankreich gemacht, sprach wohl auch Französisch und hat eben sein Osteuropa-"Engagement" mit Tante Olga abgeschlossen.
Ticket in den "Spaß" nebst Entlausungsschein. Irgendwie kann ich es nicht unterdrücken ihn etwas zu bewundern, dass er offenbar den 2WK in eine private Abenteuertour für sich verwandelt hat. Das muss ich zugeben. Denn am Ende zählt sicher nur das persönliche Überleben. Und das geht mit eigener Hütte und Verbrüderung mit Franzosen nach Kriegsende sicher besser als im Schützengraben und im Kriegsgefangenenlager. Gerne hätte ich ihn gefragt, wie er das im Einzelnen "gedreht" hat. Vermutlich würde er sagen: "Gott sei Dank war die Kriegsgefangenschaft irgendwann vorbei. Ich konnte schon keinen Rotwein mehr sehen."
Ich enthalte mich eines sinnvollen Schlusswortes.
* Die beigefügten Texte erwähnen ihn als Oberst, allerdings war eher am Schluss offenbar Generalmajor (http://www.geocities.ws/orion47.geo/WEHRMACHT/HEER/Generalmajor/ARNIM_HARRY.html). Daher vielleicht identisch mit dem General auf dem Foto. Aber ich will ja nun kein Militariablog sein...
UPDATE: Der Kriegsberichterstatter Dr. Hans Bayer hat es offenbar später zum "Schwäbischen Dichterfürsten" gebracht und lange seine Propagandavergangenheit geheim gehalten. Heute wird er in Ausstellungen "entlarvt": http://www.berlin-travel-sightseeing.com/2014-Berlin-Infos/140-Hans-Bayer-Kriegsberichterstatter-im-Zweiten-Weltkrieg.html
Obig also ein "echter Hans Bayer", ein Frühwerk von "Thaddäus Troll", wie er sich später nannte als original Schreibmaschinen-Skript. Nur im Taiwanblog ;-) Wo auch sonst...
** http://www.songtextemania.com/mamatschi,_schenk_mir_ein_pferdchen_songtext_heintje.html
1 Kommentar:
Google klärt offenbar auf: Die Feldgendarmerie hat in der Tat "Jagd" auf Juden und auch Deserteure gemacht und nach der Kapitulation oft für die Siegermächte gearbeitet um (weiter) die deutschen Soldaten zu überwachen. Nur diesmal für einen neuen Herrn. Erst Mitte 1946 haben die letzten Feldgendarmen ihre Waffen abgeben müssen.
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