Im Spiegel-Online-Forum zum Spiegelartikel über die Waffenlieferungen der USA an Taiwan (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,787707,00.html) diskutieren Deutsche über die "Taiwanfrage" und wie nicht anders zu erwarten, haben die Leute in der Regel eine ziemlich "reine Lehre" im Kopf, die sie dann enthusiastisch vertreten. Pro-Independence oder auch One-China-Linie. Allerdings konnte ich keine Pro-VR-China-Fraktion finden, scheinbar halten sich in Deutschland lebende Chinesen da heraus.
Hier in Taiwan habe ich mir längst abgewöhnt, eine "reine Lehre" zu vertreten, denn man merkt, wie unterschiedlich die Meinungen der Menschen hier in Taiwan sind, wie teilweise widersprüchlich und komplex die Einstellungen zu Thema, ob man als Bewohner der Insel Taiwan und der assoziierten kleinen Inseln nun Taiwaner oder Chinese ist - und wie unterschiedlich hier die Definitionen sein können.
Letztlich findet man hier die folgenden Strömungen, nachstehendes ist mir in pers. Gesprächen oder hier im Blog oder auf dem Ausländerforum Forumosa.com begegnet:
"I like China", Taiwan und China zusammen werden stärker als die Amerikaner sein!
Die USA wollen Taiwan und China nur auseinander halten, weil wir zusammen viel stärker als sie wären! Taiwanische Intelligenz und chinesische Masse ist unschlagbar!
Habe ich einmal von einer hübschen Marketingdame gehört. Lebt natürlich in Taipei, das ethnisch chinesisch dominiert ist. Solche fast schon pro-VR-China - Leute reden auch gern von der 5000jährigen Kultur Chinas und haben i.d.R. einen Papa, der 1949 vom "chin. Festland" nach Taiwan geflohen ist.
Business, Frieden und gute Beziehungen zu China: eine Abschwächung der obigen Position, geäußert von Leuten mit ähnlicher Biographie. Die VR-China wird deutlich kritischer gesehen, letztlich ist es aber wichtiger mit China (das der Taiwan-Independence-Bewegung mit Krieg droht!) in Frieden zu leben und von den guten Wirtschaftsbeziehungen zu China zu profitieren, die desto enger werden, desto mehr man sich mit China anfreundet. Auch die Leute reden gern von 5000 Jahren chinesischer Kultur. Die Kollegen auf dem "Festland" sind ein bisschen die unzivilisierten Halbbrüder. Demokratie und Eigenständigkeit Taiwans waren ja nett, aber letztlich wird man in der Zukunft durch Teilhabe an der Supermacht China entschädigt, die nur auf taiwanische Intelligenz wartet, um das Ganze zu vollenden. Typische Hauptstädtereinstellung ein Taiwan.
Hong-Kong als Vorbild? Irgendwie so...
Republic of China rulez! Wohlgemerkt die Republik China ohne das Wörtchen "Volks-" davor. Was man umgangssprachlich als Taiwan bezeichnet (wenn man den Staat im Sinn hat), heißt mit formalem Staatsnamen ja "Republik China" und die Verfassung dieser Republik China will für ganz China gelten. Gegründet ist die Republik China ja 1911 in Nanking, China und erst 1949 ist die Regierung vor den Kommunisten auf die Insel Taiwan geflohen, wo sie den eigentlich untergegangenen Staat einfach weitergeführt hat. Ergo wollten die "Flüchtlinge" (KMT-Partei, die 1911 die Republik China gegründet hat) China zurück erobern.
Dieser Ansatz galt lange als anachronistisch, weil Taiwan viel kleiner als das große China ist. Doch unter dem gegenwärtigen Präsidenten Ma Ying-Jeou hat er eine Renaissance erfahren.
Ma spricht davon, dass es "ein China" gibt, das aus der Region des chinesischen Festlandes und "Taiwan" besteht. Er sagt nicht, dass dies China die VR-China ist, für ihn ist es wohl die R-China (Republic of China).
Allerdings wies die Taipei Times in einem Kommentar neulich darauf hin, dass dieser Kurs in der Praxis auf einen pro-VR-China - Kurs hinausläuft, da die VR-China eben sehr viel mächtiger als die R-China (Taiwan) ist. Und in der Tat wirkt die Zusammenarbeit von Ma mit der KP Chinas wie ein Heranschmeißen und Unterwerfen in meinen Augen. Wenn Ma von "one China" spricht, denkt die KP Chinas an "eine VR-China". Letztlich liefe diese Strömung in der Praxis wohl auf eine HongKong-Lösung für Taiwan heraus.
Status-Quo
Das schien der Mainstream der "taiwanischen" KMT-Partei vor der Regierungsübernahme von Präsident Ma zu sein. Taiwan war (irgendwie) auch China, von dem es nur eines gibt, zumindest als Idealbild, tolle Sache mit 5000 Jahren Kultur, aber in der Praxis gibt es einstweilen zwei Staaten, aber man vermeidet drüber zu reden und sagt gerne man sei China. So kann man in Ruhe leben.
Mit dieser praktischen Einstellung und der Ruhe scheint es aber vorbei zu sein, als der letzte pro-Independence Präsident Chen Shui-Bian kräftig von der formalen Eigenständigkeit Taiwans gekräht hat und China den Taiwanern daraufhin aggressiv mit Krieg drohte. Vielleicht ist das auch mehr ein Zustand als eine politische Linie.
Pro-Independence, aber vorsichtig!
Diese Leute leben oft südlich vom chinesisch-dominierten Taipei, haben Vorfahren, die vielleicht schon seit Jahrhunderten auf Taiwan leben und empfinden sich als Taiwaner, nicht als Chinesen. Die ehr prochinesischen Strömungen oben hingegen würden die Frage, ob sie Chinesen oder Taiwaner sind, ambivalenter beantworten, sich etwa als Chinese sehen aber "Taiwaner" als Praxisbegriff verwenden, evtl. diese Bezeichnung aber auch ablehnen (insbesondere die Hardcore-pro-Chinesen).
Die moderaten Pro-Independence - Leute, von denen hier die Rede ist, sehen sich also als Taiwaner und ehr nicht als Chinesen, erkennen aber an, dass sie der chinesischen Kultur entstammen (es sei denn sie sind Nachfahren der hiesigen Aboriginees), nehmen aber die heutige VR-China und damit "China" an sich als große Problemzone wahr, insbesondere weil sie Taiwan mit Sprengköpfen bedroht und schlucken will.
Sie träumen i.d.R. von einem geänderten Staatsnamen "Republic of Taiwan" statt "Republic of China", einer neuen Flagge (es gibt eine oder mehrere teilweise grüne Gegenflaggen zur Republic-of-China - Flagge des heutigen "Taiwans") und einer Verfassung, in der nicht mehr die Rede von China ist. Sie mögen Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung. Sind aber in der Praxis bereit die Namensänderung und Flaggenänderung zurück zu stellen, weil China für diese Aktionen mit Krieg droht und wollen versuchen, einstweilen eine vernünftige Arbeitsbeziehung zur VR-China zu haben.
Man interpretiert diese Linie bisweilen in die als moderat geltende Präsidentschaftskandidatin Tsai Ing-Wen der pro-Independence - Partei DPP hinein.
Hardcore Pro-Independence
Obwohl die R-China alias Taiwan ja schon als faktisch unabhängiger Staat mit eigener Währung, Regierung und Armee etc. existiert, haben diese Leute immer das Bedürfnis einen Kraftakt zu veranstalten, der die formale Unabhängigkeit Taiwans zementiert und die alte verfassungsmäßige Bindung an (das alte) China durchtrennt. Der Staatsname soll ins "Republik Taiwan" geändert werden und die Verfassung und Flagge modifiziert werden. Eine Art Unabhängigkeitserklärung soll per Volksabstimmung herbeigeführt werden zu diesem Zweck. Die massiven Kriegsdrohungen Chinas für die Vollziehung dieser Pläne erzwingen jedoch bisweilen Zugeständnisse. Diese Linie wurde von der letzten DPP-Regierung unter Chen Shui-Bian 2000-2008 gefahren, im Fernsehen spielte Marschmusik, Kriegsschiffe feuerten zu diesen Bildern (übungshalber) Raketen ab und der Präsident tönte "Taiwan Yes! China No!", was die KP-Chinas zur Weißglut trieb. In der Praxis führten die massiven Kriegsdrohungen Chinas (vgl. Anti-Sezessionsgesetz) allerdings zum Nichtstattfinden dieser Maßnahmen. Unter solchen Leuten ist das Leben hier viel spannender, man fragt sich, ob nächtliche Sirenen nun einen Angriff Chinas bedeuten oder nicht.
Expräsident Chen sitzt mittlerweile in Taiwan im Gefängnis, allerdings wegen Korruption und Geldwäsche.
Sicherlich gibt es noch viel mehr Strömungen und Variationen davon. Mir ist das mittlerweile alles egal und wenn die KMT dran ist bin ich für die DPP und umgekehrt. Voila!
Update: Taiwaner? Chinese? Der amtierende Präsident Ma Ying-jeou lässt es auf die Form "I am a ROC-er" bringen, ROC ist dabei das Kürzel von "Taiwans" offiziellem Staatsnamen "Republic of China" (in der englischen Form). http://taipeitimes.com/News/taiwan/photo/2011/07/28/2008061188
2 Kommentare:
Wenn man Benutzer Kommentare in deutschen Medien verfolgt drängt sich sich mit auf, dass das Gerücht über bezahlte Kommentare wahr sein muss.
Mal ehrlich, wer als "normaler" Deutscher hat eine Meinung über das Verhältnis Taiwan China?
Dafür müsste man die Taiwanische Geschichte genauer kennen oder mehr zu diesen Thema in den Medien sein.
Genauso gut kann man nach einer Region in Russland fragen da käme auch nur zurück: Ahhh wo liegt das denn?
Aber nachdem ich hier in Taiwan lebe und ab und zu auch mal im Süden bei Kunden unterwegs bin habe ich einiges mitbekommen. Ich erinnere mich daran, dass mich ein Kunde in Kaohsiung mal gefragt hat wie ich denn zu der Unabhängigkeit Taiwans stehen würde. Ich habe versucht das Thema vorsichtig zu umschiffen (auch wenn ich persönlich Meinung bin Taiwan ist ein eigenständiger Staat und mit dem selben Argumente mit welchen China Taiwan eingliedern möchte könnte Deutschland nach halb Europa verlangen, schließlich gab es mal ein Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation).
Wie auch immer, ich versuche mich aus Politik herauszuhalten denn in diesen Land bin ich Gast.
Ich hoffe nur, dass China nicht irgendwann mal einen außenpolitischen Erfolg braucht weil es innerpolitische Probleme gibt.
Bist Du denn in der Notfallliste des Deutschen Außenministeriums eingetragen? Falls nicht solltest Du es tun, nur für den Fall der Fälle.
Bin eingetragen, muss aber die Adresse wieder ändern. Danke für die Erwähnung, ganz vergessen. Und Junior auch gleich eintragen.
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