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Donnerstag, Mai 02, 2013

Frubbeln in Praxis

Neulich habe ich mal versucht, das merkwürdige Verhalten von vielen Taiwanern westlichen Ausländern gegenüber zu dokumentieren, verbunden mit der Wortschöpfung des "Frubbelns": http://bobhonest.blogspot.de/2013/04/how-to-frubbel.html. Grund für eine Wortneuschöpfung respektive die Umdeutung eines wohl ursprünglich rheinischen Begriffs ist, dass das Verhalten der Taiwaner so recht in keine Kategorie passen will und sich auch völlig unterschiedlich äußern kann. Um es kurz zusammenzufassen: Frubbeln fängt oft als eine nervöse Ausfragerei oder Anhimmelei eines westlichen Ausländers an und kann bis hin zum Stalking münden. Kann, aber muss nicht. Das scheint durchaus dazu im Widerspruch zu stehen, dass viele Taiwanneulinge die Taiwaner als ausgesprochen freundlich empfinden.
Wie passt das nun zusammen und wovon rede ich hier überhaupt?

Mir fiel in diesem Zusammenhang ein Erlebnis einer westlichen Ausländerin in Taipei (?) wieder ein, die darüber einst auf Forumosa.com berichtet hatte (Link ist schwer zu finden bei den vielen Diskussionen dort), das eigentlich perfekt zum "Frubbeln" und zu den verschiedenartigen Wahrnehmungen dieses passt. Frubbeln am praktischen Beispiel also. Junge Taiwaner aufgepasst, hier könnt ihr lernen wie das geht.

Phase 1: Die junge Englischlehrerin steigt jeden Morgen in einen Bus und bringt einen Kaffee im sicheren Transportbehältnis mit (Pappbecher von Starbucks oder so). Es entwickelt sich ein freundlicher Plausch mit dem Busfahrer, einem älteren Herrn, der sie anspricht.

Phase 2: Nach etlichen gemeinsamen Morgenfahrten sagt der Busfahrer, sie möge ihm doch auch einen Kaffee mitbringen und lacht. Die junge Frau lacht auch über die mild humoristische Bemerkung.

Phase 3: Der Busfahrer wiederholt seine Forderung nach einem eigenen Kaffee immer wieder, mit steigender Ernsthaftigkeit. Die junge Frau versucht auszuweichen, doch der Busfahrer ist unbeirrt in seinem Tun.

Phase 4:  Der Busfahrer droht der Frau damit, sie nicht mehr im Bus mitzunehmen, wenn sie ihm keinen Kaffee bringt.

Phase 5: Die Englischlehrerin bittet um Hilfe im Ausländerforum, fragt was los ist, was sie falsch gemacht habe und ob sie ihm nun wirklich einen Kaffee kaufen müsse.

Stellen wir uns nun einmal vor, die junge Frau sei nur zwei Wochen in Taipei gewesen. Dann hätte sie vermutlich nur Phase 1 und 2 des Frubbelereignisses erlebt und würde in ihrem Blog posten, was für nette und aufgeschlossene Leute die Taiwaner doch sind. Sind die meisten ja auch, das will ich hier gar nicht bestreiten. Es frubbelt ja nicht jeder.

Eventuell hätte sie noch den Anfang von Phase 3 erlebt. Und würde denken, Taiwaner seien manchmal etwas aufdringlich. Was man öfter liest und sicher auch nicht unrichtig ist. End of Story. Die Frau hätte ein völlig oder wenigstens überwiegend positives Erlebnis gehabt.
 Nur der Langzeitresidente, der erlebt das Frubbeln in seiner ganzen Pracht und ist genervt.

Was läuft hier psychologisch ab?
Ich denke, der Busfahrer hat eine gewissen Neugierde dem Fremden gegenüber, das sich so direkt unter seiner Nase jeden Morgen einfindet. Er hat keine Hemmungen ein Gespräch anzufangen. Er ist nahe am Underdog in der reichen Stadt Taipei und erlebt die junge Fremde als ihm unterlegen. Sie kann nicht richtig Chinesisch, reagiert bisweilen unsicher (aber nicht unbedingt ablehnend). Er wähnt sich in einer Machtposition und geniest das Gefühl einen vermeintlich Schwächeren gefunden zu haben. Insbesondere weiß er, dass sie sich wegen Sprachbarriere und mangels des Lesens von chinesischen Schriftzeichen schwerer tun wird, einfach seinen Boss anzurufen und ihn feuern zu lassen von der Busgesellschaft. Er übt dann in der Folge seine Macht über sie aus, versucht Repressalien zu implementieren.

Ein Einzelfall?
Eher ja. Aber auch ich habe mich gewundert, wie mir plötzlich wieder das Kantinenpersonal in unserer Firma auf der Nase herum tanzte, als meine Frau im Schwangerschaftsurlaub war. Sie dachten halt, sie könnten sich jetzt was rausnehmen. Was kann ich schon alleine gegen sie unternehmen? Na ja, meine Frau anrufen halt, die sie am Telefon "zur Sau macht". Was auch geschehen ist. Nur ohne einheimischen Kontakt ist die Frau aus dem Beispiel relativ hilflos. Taiwaner mit niedrigem Bildungsgrad tendieren dazu, westliche Ausländer als Tanzbär zu ihrer Belustigung zu belästigen meiner Erfahrung nach.

Was ist die Ursache des Ganzen?
Mir fällt in solchen Fällen immer wieder auf, wie hemmungslos sich die "Frubbeler" gegenüber ihrem "Opfer" verhalten. Damit verstoßen sie gegen das "Gesichtwahren"-Gebot ihrer eigenen Kultur, die eigentlich verlangt, dass man über den Kontext der gesellschaftlichen Beziehung auf schwache Signale (etwa Unmutsäußerungen) des Anderen reagiert, um eine peinliche Situation zu vermeiden (vgl. auch die Kulturtheorie von Geerd Hofstede über Hochkontexktkulturen).
Warum sind sie plötzlich so hemmungslos und nassforsch? Meine Theorie ist, dass sie den Ausländer nicht den selben Respekt beibringen, den sie einem Landsmann entgegenbringen - und eben auch weniger Angst davor haben, für ihr Fehlverhalten (vom Vorgesetzten etc.) bestraft zu werden.

Ist Taiwan deswegen ein schlimmer Ort für Ausländer?
Ganz und gar nicht. Ich finde nur es kann nicht schaden, sich über diese allerdings selten vorkommenden Verhaltensweisen im Klaren zu sein, um sie schon frühzeitig zu erkennen und abzustellen. Leider braucht man im Falle eines Falle einen einheimischen Mittelsmann, sonst geht wenig. Weil man als Ausländer eben sonst nicht ernst genommen wird - will sagen, nicht hinreichend respektiert wird.
Ansonsten kann Frubbeln auch angenehm sein, etwa die attraktive Küchenhilfe, die rot wird und sich auf jeden Besuch freut. Eben der Taiwahn.

  

  

2 Kommentare:

GfE hat gesagt…

Deine Schilderung dieser Dynamik finde ich gelungen. Das Beispiel bringt sie gut auf den Punkt.

Die Interpretation als Machtspiel, d. h. der Kern der Dynamik sei das opportunistische Ausnutzen eines Machtgefälles, teile ich jedoch nicht.


Sicherlich hat der Busfahrer eine gewisse Neugier der jungen Europäerin gegenüber - und auch wenig Hemmungen, ein Gespräch mit ihr anzufangen, von der er nichts zu befürchten hat.

Dennoch ist seine Bitte um diese Kleinigkeit (ihm einen Kaffee mitzubringen) eben weder ein blosser Scherz noch die leicht unverschämte Forderung, die westliche Ohren darin zu hören meinen, sondern eigentlich ein Sozialisierungsangebot für die sympathische Fremde - ein freundliches Handreichen.

Dieses gilt es zumindest zu würdigen. Es einfach zu ignorieren wäre "normalerweise" grob unhöflich. (Auch zwischen Einheimischen kommt es in solchen - allerdings seltenen - Situationen zu grosser Schroffheit.)

Doch die Europäerin wirkt nicht "normal" und der Busfahrer kann nicht erkennen, ob sie überhaupt verstanden hat, dass er sein Sozialisierungsangebot ernst meint. Also wiederholt er es einige Male und ernsthafter.

Je mehr er dann aber denkt "Jetzt sollte es eigentlich klar sein!", um so stärker brüskiert ihn die nun erst recht ignorante (statt kulturkonform dankbare oder gar erfreut darauf eingehende) Europäerin.

Wenn diese Dynamik eskaliert und keine Seite aussteigt, bleibt in "Phase 4" tatsächlich nur noch das Machtgefälle übrig.

Das ist jedoch nur der (kommunikativ entgleiste) Ausgang dieser ursprünglich beiderseits freundlichen Begegnung, nicht ihr Wesen!

GfE hat gesagt…

Deine Schilderung dieser Dynamik finde ich gelungen. Das Beispiel bringt sie gut auf den Punkt.

Die Interpretation als Machtspiel, d. h. der Kern der Dynamik sei das opportunistische Ausnutzen eines Machtgefälles, teile ich jedoch nicht.


Sicherlich hat der Busfahrer eine gewisse Neugier der jungen Europäerin gegenüber - und auch wenig Hemmungen, ein Gespräch mit ihr anzufangen, von der er nichts zu befürchten hat.

Dennoch ist seine Bitte um diese Kleinigkeit (ihm einen Kaffee mitzubringen) eben weder ein blosser Scherz noch die leicht unverschämte Forderung, die westliche Ohren darin zu hören meinen, sondern eigentlich ein Sozialisierungsangebot für die sympathische Fremde - ein freundliches Handreichen.

Dieses gilt es zumindest zu würdigen. Es einfach zu ignorieren wäre "normalerweise" grob unhöflich. (Auch zwischen Einheimischen kommt es in solchen - allerdings seltenen - Situationen zu grosser Schroffheit.)

Doch die Europäerin wirkt nicht "normal" und der Busfahrer kann nicht erkennen, ob sie überhaupt verstanden hat, dass er sein Sozialisierungsangebot ernst meint. Also wiederholt er es einige Male und ernsthafter.

Je mehr er dann aber denkt "Jetzt sollte es eigentlich klar sein!", um so stärker brüskiert ihn die nun erst recht ignorante (statt kulturkonform dankbare oder gar erfreut darauf eingehende) Europäerin.

Wenn diese Dynamik eskaliert und keine Seite aussteigt, bleibt in "Phase 4" tatsächlich nur noch das Machtgefälle übrig.

Das ist jedoch nur der (kommunikativ entgleiste) Ausgang dieser ursprünglich beiderseits freundlichen Begegnung, nicht ihr Wesen!