Motivation: Immer mal wieder finden Angehörige oder Bekannte von in Taiwan wegen Drogenschmuggels einsitzenden Deutschen oder Deutschen nahestehenden Häftlingen dieses Blog über Google und benötigen Infos. Ich verweise dann immer wieder auf den letzten Blogartikel zum Thema, da mein letzter Besuch bei einem Häftling schon länger zurückliegt und mich mein Gedächtnis zum Thema im Stich lässt. Und beim Durchsehen des Artikels denke ich dann immer "den könntet du mal wieder aufräumen". So auch dieses Mal. Unten die im April 2016 aktualisierte Fassung der Angehörigen-Info.
Vorbemerkung: Ich bin ein in Taiwan lebender deutscher Informatiker und habe mit Drogen oder der Drogenszene rein gar nichts zu tun. Zweimal habe ich auf Anregung einer Blogleserin einen Häftling in Taiwan im Gefängnis besucht. Daraus entstand der erste Artikel zum Thema. Weder heiße ich Drogenschmuggel gut noch stehe ich dem Thema oder den Leuten nahe. Aber Angehörige, die sich Sorgen wegen der Todesstrafe machen benötigen natürlich Info.
Taiwan: besser draußen als drinnen**
Zur Zeit sind mehrere Deutsche in Taiwan in Haft wegen Drogenschmuggels. Die Zahl von Sieben findet sich u.a. hier; seither gab es zwei Rückführungen nach Deutschland und wohl weitere Festnahmen in der Sache.
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Zunächst schwebt für Angehörige immer die drohende Todesstrafe im Raum, die in Taiwan auf Drogenschmuggel steht. Die Presse spricht immer von drohender Hinrichtung, wenn sie sich mit dem Fall befasst und in einem Auswandererforum gibt es sogar eine Falschmeldung über die Hinrichtung eines Deutschen in Taiwan in den letzten Jahren - ich widerspreche dort energisch.
Grundsätzlich sind in Taiwan jedenfalls in einem irgendwie absehbaren Zeitraum in den letzten Jahrzehnten noch KEINE "Westler" wegen Drogenbesitzes in Taiwan zum Tode verurteilt oder gar hingerichtet worden. So merkwürdig das klingt, nur Taiwaner oder Angehörige diverser asiatischer Nationen sind davon betroffen, Taiwan nimmt Europäer und Nordamerikaner davon offensichtlich aus, sicher um sich in Abgrenzung zur VR-China zivilisiert zu geben - was ja auch zutreffend ist. Die Todesstrafe wird vielleicht vom Staatsanwalt gefordert, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (und ich denke hier eher an 100%) nicht ausgesprochen werden. Mitlesende evtl. involvierte taiwanische Juristen mögen mir diese kecke Einschätzung verzeihen, natürlich sind die Gerichte unabhängig. Trotzdem denke ich, muss sich niemand über die Todesstrafe Sorgen machen.
Nicht der Gefängnishof, sondern Parkanlage in Taipei-NeiHu
Die Standardverurteilung in Taiwan wegen Schmuggels von großen Mengen Heroin beträgt Lebenslänglich und auch bei weichen Drogen sähe es wohl nicht anders aus, der strengen Gesetzgebung in Taiwan halber. So weit mir die Fälle bekannt sind, ist der Standardfall eines in Zusammenhang mit dem Drogenimport festgenommenen Deutschen ein Thailand-Residenter (Achtung: Thailand ist NICHT mit Taiwan identisch!), der dort in finanzielle Probleme geraten ist und sich dann vom organisierten Verbrechen überreden ließ, mindestens ein Kilo Heroin nach Taiwan zu schmuggeln. in Taiwan ist der Insellage und hervorragender Kontrollen halber kaum Heroin auf dem Markt zu finden, deshalb ist der Marktpreis hoch und es wird immer wieder versucht etwas hinein zu schmuggeln.
Fast immer werden Drogenkuriere gefasst, angeblich soll es täglich einschlägige Festnahmen geben, allerdings sind nur recht selten Deutsche oder Nordamerikaner darunter.
Es erwarten den Festgenommenen 1-2 Jahre Untersuchungshaft, die in Taiwan allerdings nicht auf die spätere Haftzeit angerechnet werden, am Ende steht also eine Verurteilung zu Lebenslänglich oder eine langjährige Haftstrafe, letzteres nur, wenn hart nachweisbare Fakten zur Milde vorliegen, etwa die erfolgreiche und vor Gericht belegbare Zusammenarbeit mit Interpol (Beweis schwierig, weil Taiwan keine offizielle Zusammenarbeit mit Interpol hat soweit ich weiß, weil Taiwan von den meisten Staaten der Welt nicht diplomatisch anerkannt wird) oder ein ärztliches Attest über einen verwirrten Geisteszustand, wie in einem Fall offenbar geschehen. Man kann Atteste o.ä. in Taiwan ausdrücklich NICHT kaufen gegen Bares; die taiwanische Justiz schaut hier sowieso genau hin beim sensiblen Thema Drogenimport.
Die Haftbedingungen sind zunächst recht gut, da während der Untersuchungshaft und der Prozessdauer eine 2-Mann-Zelle o.ä. zur Verfügung steht statt einer überbelegten Massenzelle. Das Deutsche Institut (DI), die inoffizielle Vertretung Deutschlands in Taipei (http://www.taipei.diplo.de/Vertretung/taipei/de/Startseite.html), das wegen diplomatischer Nichtanerkennung Taiwans seitens Deutschlands die Rolle einer Botschaft (teilweise) übernimmt, sorgt für die Übergabe einer Adressenliste mit Anwälten und besucht den Verurteilten regelmäßig. Hier im Blog erweckte ich einst den Eindruck, diese Betreuung sei unvollkommen. Da möchte ich mich beim DI für entschuldigen, ich wollte damals nur dem Eindruck vorbeugen, das DI könne in Taiwan wesentlichen Einfluss auf den Prozess nehmen der dergleichen, wie das manchmal von Laien vermutet wird.
Die anschließende Haftstrafe wird dann jedenfalls im "Taipei Prison" angetreten, das im Landkreis Taoyuan liegt. Link zum Taipei Prison, englische Webseite: http://www.tpp.moj.gov.tw/mp138.html. Nach 2/3 der Haftstrafe kann der Häftling entlassen werden, bei Lebenslänglich heißt das in Taiwan mindestens 20 Jahre. Seit neuestem gibt es ein Auslieferungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik China (so lautet der formelle Staatsname von Taiwan), nach dem der Häftling zum Absitzen der Reststrafe nach Deutschland überstellt werden kann: http://www.china-observer.de/index.php/2013/11/07/auslieferungsabkommen-zwischen-taiwan-und-deutschland-unterzeichnet/
Offenbar gibt es jetzt ein festgeschriebenes Verfahren zur Überstellung von deutschen Häftlingen. Die ersten zwei der Verurteilten, ein wg. mildernder Umstände nur zu 14 Jahren Haft verurteilter Deutscher und ein anderer mit 16 Jahren Haft-Urteil, sind schon wieder in Deutschland angekommen. Erster schon abgeschlossener Fall http://www.taiwanembassy.org/de/ct.asp?xItem=591566&ctNode=12779&mp=112.
Zweiter Fall: http://www.taipeitimes.com/News/taiwan/archives/2016/03/26/2003642482 (Hinweis vom "Taiwanreporter" über Facebook: https://www.facebook.com/taiwanreporter/posts/10153604479733295?fref=nf).
Ich selbst habe einen deutschen Häftling zweimal im Taipei Prison besucht, mein Bericht dazu hier: http://osttellerrand.blogspot.tw/2009/12/besuch-bei-deutschem-gefangenen-in.html. Ein Foto aus dem taiwanischen NEXT-Magazin mit Blick in eine der überbelegten normalen Vollzugszellen kann man hier sehen: http://osttellerrand.blogspot.tw/2010/09/deutsche-in-uberfullten-zellen-im.html
Zu den Haftbedingungen ist zu sagen, dass die Häftlinge die meiste Zeit und auch die Wochenenden in den engen Zellen verbringen, wochentags in der "Fabrik" arbeiten können, was als angenehme Abwechselung empfunden wird und sonst keinen Freigang im Hof oder dergleichen haben. Das Essen kann man salopp als schlank machende asiatische Kost bezeichnen, unterernährt sind die Häftlinge nicht, aber eben schlank. Belastend ist, dass das in großen Kesseln lange gegarte Essen recht geschmacklos ist, Festtagsessen oder die Teigtaschen ausgenommen, wie mir berichtet worden ist.
Ansonsten sei noch dieses Blog (https://andreasintaiwan.wordpress.com/) eines konfessionellen Gefängnisbesuchers in Taiwan empfohlen, dessen Blog auch Enblicke in die Situation der Gefangenen bietet. Klaus Bardenhagen, deutscher Journalist in Taipei, hat auch gute Infos über die Deutschen und die Todesstrafe in Taiwan: http://www.intaiwan.de/2009/02/11/todesstrafe-in-taiwan/
Zurück zur Haft in Taiwan: Psychisch belastend ist für die ausländischen Insassen, dass sie fern der Heimat sind, es keine sprachliche Anpassung des Gefängnisbetriebes für sie gibt (sie sollen Chinesisch lernen), sie im Gegensatz zu den Einheimischen keinen Verwandtenbesuch bekommen (jedenfalls keinen regelmäßigen) und auch die Essensmitbringsel der Verwandten (die manchmal Essen mitbringen und manchmal im Gefängnisladen für die Gefangenen einkaufen) vermissen, die die einheimischen Gefangenen zur Streckung der Gefängniskost gerne nehmen. Durch das oft feuchtheiße Klima und die Überbelegung kommen noch diverse Hautkrankheiten dazu, in Taiwan ist die Bakterien- und Pilzflora sowieso aktiver als in Europa. Offenbar findet nach einiger Zeit eine Anpassung des Häftlings an die Umgebung statt.
Im Gegensatz zu Asienklischees finden offenbar keine Übergriffe von Wärtern oder anderen Gefangenen auf die ausländischen Häftlinge statt, die Wärter verlangen aber Disziplin von den Gefangenen und bestrafen etwa "Ausflippen" aufgrund des psychischen Stresses mit Isolation. Auch beim Empfangen von Besuch wird vom Häftling eine ordentliche gerade Sitzhaltung verlangt, wie ich selbst sehen konnte.
Was kann man nun tun? Als Nichtverwandter kann man erst mal gar nichts tun, außer sich an die Familie zu wenden und diese wiederum kann vom Deutschen Institut Hilfe und Infos bekommen, Link siehe oben. Um beispielsweise Bücher oder Briefe ins Gefängnis zu schicken, braucht man die Haftnummer des Häftlings, sein Gefangenenkürzel, sein Geburtsdatum etc., Infos die man so nicht hat. Einfach ein Paket schnüren und losschicken geht also nicht, auch weil der Häftling eine Sendung erst beantragen muss.
Wer einen Gefangenen besuchen will, muss wieder die Kontaktinfo haben. Ich musste damals als Nichtverwandter auch erst (über meine Frau) Kontakt mit dem Gefängnis aufnehmen. Wer einen Besuch machen will und die Erlaubnis hat (Verwandte bekommen die immer denke ich, jedenfalls nach der Untersuchungshaft) den kann ich dazu durchaus ermutigen, Taiwan ist ein ordentlich verwaltetes Land mit niedriger Kriminalität, man muss sich da also keine Sorgen machen und das Gefängnispersonal ist hilfreich. Allerdings kann man wohl einen Gefangenen nicht allzu oft besuchen, evtl. nur einmal die Woche, siehe auch meinen Artikel vom damaligen Besuch.
Zu weiteren Besuchen im Gefängnis habe ich leider keine Möglichkeit, da ich aus der Gegend weggezogen bin und durch kleinen Sohn und mehr Verantwortung im Beruf mittlerweile einfach keine Zeit mehr ist.
ANWÄLTE:
Link zu einer mit den Häftlingen befassten Anwaltsseite: http://www.stcoll.de/Rechtsgebiete/Strafrecht/Internationales-Strafrecht/Reisebericht-Taiwan/index.html
GEFÄNGNIS:
Diese Slideshow erlaubt einen Einblick in das Taipei Prison, u.a. auch in eine der überfüllten Zellen: http://www.examiner.com/slideshow/inside-a-chinese-taipei-prison#slide=1
KONSULARISCHE* HILFE:
Bei deutschen Staatsbürgern ist das Deutsche Institut Taipei zuständig:
http://www.taipei.diplo.de/Vertretung/taipei/de/Startseite.html
KEINE HINRICHTUNGEN VON DEUTSCHEN:
Hier nur noch mal der Beleg, dass in den letzten 20 Jahren jedenfalls keine Hinrichtung eines Deutschen in Taiwan stattgefunden hat - andere Westeuropäer werden ebenso behandelt, genauso wie Nordamerikaner. Ich reiche das nach, weil Google immer wieder in einem Forum die Falschmeldung einer Hinrichtung eines Deutschen in Taiwan "vor 4 Jahren" (Stand 2013) auflistet, die von einem anderen Taiwanexpakt in die Welt gesetzt wurde, wohl um ein Abschreckungsszenario zu erzeugen. Die Hinrichtung fand nicht statt, ich zitiere mich selbst auf dem Forum:
Die "Initiative gegen Todesstrafe" nennt (Stand August 2010) in den letzten 20 Jahren nur*** 2 Hinrichtungen an Deutschen, beide in den USA: http://www.initiative-gegen-die-todesstrafe.de/nc/aktuelles/nachrichten/details/article/zum-tode-verurteilte-deutsche-staatsangehoerige.html?cHash=4ef67d1b60&print=1
Es handelt sich um das folgende Dokument, Zitat: (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/2761 –, 26.08.2010)
WAS KÖNNEN NICHTVERWANDTE TUN:
Info von einer Betroffenen: Wenn kein Verwandtschaftsverhältnis vorliegt, müssen offenbar zunächst 1-2 Jahre Untersuchungshaft abgewartet werden, dann kann über die deutsche diplomatische Vertretung in Taipei ein Kontakt zum Häftling hergestellt werden, den dieser initiieren muss (zuerst schreiben).
ÜBERSTELLUNG NACH DEUTSCHLAND:
Taiwan besteht auf im Wesentlichen den selben Bedingungen wie in Taiwan, wenn die Haft in Deutschland abgesessen wird. Eine beliebige Verkürzung ist also nicht möglich. Im Falle des zu 16 Jahren verurteilten hat Taiwan zugestimmt, dass die Haftstrafe auf die in Deutschland für diese Straftat max. möglichen 15 Jahre reduziert wird. Ich vermute, dass Entlassung nach 2/3 weiterhin möglich ist, weil sowohl in Taiwan wie auch in Deutschland möglich. Mir ist unklar, was im Falle der Standardverurteilung von Lebenslänglich (in Taiwan üblich bei Drogenschmuggel ohne mildernde Umstände) möglich ist. Kann da auch überstellt werden? Das wird die Zukunft zeigen.
*auch wenn das Deutsche Institut wegen Nichtexistenter dipl. Anerkennung von Taiwan/Republik China seitens Deutschlands keine offizielle Botschaft ist
** Eine ähnlich Weisheit wie der an der Eingangstür (zum Anmelderaum für Besucher) des Taipei Prison angebrachte Slogan: "You choose: Love or Punishment" / "Sie haben die Wahl: Liebe oder Strafe".
Update: Kürzliche Festnahmen:
Neuseeländer, 02.03.2016, 2.7 kg Heroin: http://focustaiwan.tw/news/asoc/201603020012.aspx
Zwei Taiwaner, Januar 2016, 800g und 200g Heroin: http://www.chinapost.com.tw/taiwan/national/national-news/2016/01/14/456044/Ring-members.htm
Däne, März(?) 2015, 1.5 kg Heroin: http://cphpost.dk/news/dane-faces-death-penalty-for-heroin-smuggling-in-taiwan.html
Zwei Franzosen, eine Schwedin, Januar 2015, zusammen 5kg Heroin: http://www.etaiwannews.com/etn/news_content.php?id=2676224
Insbesondere der Artikel über den Dänen versucht den Eindruck zu erwecken, als stünde eine Hinrichtung bevor. Als Blogger kann man auf solchen Qualitätsjournalismus nur neidvoll blicken. Aber andererseits: Wer $$$ mit Nachrichten machen muss, will halt Leser anlocken.
2 Kommentare:
Zutreffend, auch die politisch nicht ganz korrekten Bemerkungen.
Mir ist nicht bewusst, dass hier etwas "politisch unkorrekt" wäre. Ich hatte nur Fakten im Sinn.
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