Bitte raten, wer ist Harry?
Dienstliche Weihnachtsfeiern sind immer nervig, auch ohne die merkwürdigen Frisuren...
Wo wir einmal bei dem alten Auto sind, da fiel mir eine Altlast ein, die ich seit ewigen Zeiten mit mir herumschleppe. Mein Onkel, nennen wir ihn Harry (so hieß er schließlich) hat mir nicht nur einen meiner zwei Mittelnamen hinterlassen, sondern auch sein fotographisches Tagebuch, mir von seiner Witwe überreicht und ich würde es ja vielleicht zu schätzen wissen. Fotografiert hat der Harrymensch seine ganzen Auslandsreisen, woran an sich nichts Schlimmes wäre, hätte er sie nicht in Uniform und mit Schießstock unternommen, namentlich im zweiten Weltkrieg. Merkwürdig ist der Stil des papiernen Blogs, zig kleinformtige Fotos, wie damals üblich, Kommentare darunter geschrieben, die einzelne Bilder, auch wenn todernst, in einen unernsten oder gar zynischen Kontext setzen, wobei mir unklar ist, ob das gewollt ist oder nicht. Bilder von halbierten Soldaten, massenhaftem Kriegsschrott (aha, Polen hatte also noch Doppeldecker), Kriegsgefangenen und auch von osteuropäischen Juden, die offenkundig gerade gejagt wurden. "Zusammengetrieben" beschreibt wohl, was mein Onkel und die Wehrmacht da taten, aber ich suche vergebens nach einem passend klingenden Wort für dieses Übel. Der Fotograf hat sich aber mehr für die Gesichter und die Locken der orthodoxen Juden interessiert, durfte aber vielleicht auch nicht die Arbeit der unseeligen Wehrmacht bei der Judenverfolgung zeigen. Mit Schreibmaschine getippte Regimentsgedichte und -Zeitungen, unschön arrogante Poesie, Fotos von Weihnachten an der Front und am Schluss eine ganz verblüffende Wendung. Russlandfeldzug ja, Gefangenschaft dort aber ehr in Frankreich und dann aber doch nicht so richtig gefangen, sondern.... na ja, wenn ich es doch noch publiziere, will ich nicht gleich alles verraten. Der im Nachkriegsleben recht erfolgreiche Kohlenhändler scheint im Krieg ein wahres Schlitzohr (und Feldjäger) gewesen zu sein. Oder erweckt sein Fotoroman, der leider entsetzlich durcheinander ist, nur diesen schlitzohrigen Eindruck?
Mir juckt es in den Fingern ihn zu publizieren, in Auszügen, als "Harrys Krieg" als Fortsetzungsroman, allerdings kennen wir alle das Ende. Kommentiert natürlich, um die zeitgenössiche Rethorik zurecht zu stutzen. Oder lasse ich es lieber doch? Einen ersten Versuch in meinem mittlerweile von mir gelöschten alten Blog (in einem denaturierten Social Network namens Passado, das es heute nicht mehr gibt) habe ich nach einer vorsichtigen Anfrage gleich wieder eingestellt, nachdem in den Kommentaren besoffene Heil Hitler -Scherze zu lesen waren. Also, Meinungen?
Sicherlich schwierig, eine Verharmlosung des Themas zu vermeiden, aber möglich. Ein eigenes Blog machen dazu möchte ich eigentlich nicht, um nicht als Weltkriegsblogbetreiber dazustehen und falsch angesehen zu werden.
Also, Meinungen?
8 Kommentare:
" GEWINN WOHL !" kann ich da nur sagen - also ich mein, das wäre für dich wohl ein gewinn...
diese extremen zeiten von damals zeichnen menschen - schicksale mit eigenartiger klarheit!..und denk sie wären es wert....
meinung aus wien
:-)
Ein reflektives Buch von einen Autor, der einer klare und bewusste Abscheu gegen die Nazis hatte, dokumentiert wird, würde das Buch bestimmt nicht schlecht. Klar wenn der Biograph Deines Onkels Dir so belastest, schreib mal. Die Psychological Forschung der Mitläufer ist immer unvermeidlich wichtig und daher interessant. Hoffe nur, den Entsetzliches nie mehr wiederpassiert, auch nie in irgendeiner Ecke auf der Welt.
Sorry!Schreibfehler:
....gegen die Nazis "hat",....
Der Autor meine ich "DU", nicht "Deiner Onkel". Siehst Du, sehr schwierig kompliziert auf Deutsch zu schreiben!
Und ein Buch kriege ich nicht hin, wenn er massenhaft Briefe hinterlassen hätte, dann würde ich sie zugerne zum Roman vervollständigen oder zur Dokumentation; eine blonde Küchenhilfe würde dann zum Seitensprung etc. Doch so verstehe ich nicht genug von dem Soldatenzeug, außer dass das Gewehr ein gefährliches und ein ungefährliches Ende hat. Also bleibt es wohl beim Blog.
Irgendwie verbrigt sich da eine spannende Geschichte, mit seinem Klamottenwechsel rechtzeitig am Schluss...
Also, versuchen wir mal ein paar Blogeinträge, die müsste das chaotische Material hergeben und versuchen die Fotos in den historischen Kontext zu setzen. Irgendwie sind die Fotos der russischen oder polnischen Juden ja vielleicht die einzigen, die je existiert haben von diesen Menschen, wir reden ja von armen Dorfbewohnern, gebe ich sie wieder, in respektvollem Kontext, anstatt dass sie nur zwischen den vergilbten Kartondeckeln des Albums herumgeistern...
Wer ist Harry? Der ganz vorne rechts wuerde ich vermuten. Lieg ich richtig?
Leider falsch, dritter von Rechts.
;-)
Also gut, mal gucken ob Harry heute in meiner Mittagspause schnell in den Zug steigen und in die Kamera lächeln kann, sein "großes Abenteuer" voraus.
Bin grad zu müde, der zweite Weltkrieg muss noch etwas warten.
... nein, das ist kein Zitat aus Hitlers gefälschten Tagebüchern ;-)
Kommentar veröffentlichen