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Montag, April 22, 2013

Vollistan

Bemerkenswert finde ich immer wieder, wie gerammelt voll alles im Norden von Taiwan und insbesondere hier in Taipei ist. Alles scheint doppelt ausgenutzt und jede kleine Nische erfüllt noch irgendeinen Zweck. Mindestens.

Hier ganz gut erkennbar beim Bild von dieser Fressbude in der 737-Lane bei uns ganz in der Nähe. Alle Nebenstraßen sind ja als Lane Nr. Soundso durchnummeriert, bezogen auf die nächste große Straße, aber die 737-Lane ist wohl wegen dieser eingängingen Nummernkombo zu etwas besonderem geworden. Hier ist eine beliebte Einkaufstraße, in der sich Menschenmassen am Wochenende zwischen Fressbuden, Geschäften und unzähligen Verkaufsständen hindurchdrängen. Und Mopeds, viele Mopeds. Bis vor kurzem auch noch wild hupende Autos am Wochenende, aber die müssen seit kurzem zu den Stoßzeiten draußen bleiben - für mich immer noch ein kleines Wunder.
Aber was ich eigentlich sagen wollte: Achten Sie mal auf den Bildrand, da wo es etwas dunkel ist. Merken Sie es? Es ist alles voll. Alles ist mit irgendwas zugestellt, Krirmskrams, Klimbim, Kochutensilien und sogar die Fahrbahn ist kaum zu erkennen - die ist zwischen dem Laternenmast und den Mopeds der anderen Straßenseite links. Es müffelt und knattert, brutzelt und vibriert und Menschenmassen schieben sich schnatternd und hektisch von Stand zu stand und kauen auf ihrem Essen rum, eingenebelt von Mopeds. Die beiden jungen Männer verkaufen übrigens eine Art chinesischen Hamburger - in einer Hefeteigtasche oder dergleichen ist eine Frikadelle, ein Gemüsebrei und allerlei Würzkraut. Scheckt ausgeprochen gut, aber das hat sich herumgesprochen, so dass man jetzt immer eine riesige Schlange davor hat. Entsprechend habe ich das schon seit einem halben Jahr oder so nicht mehr gegessen.

737-Lane





Leckere Deserts und geschnitten Obst und Miniröckchen, geht alles weg wie geschnitten Brot in 737-Lane


Fisch am Spieß mit vergorenem Kraut drüber, fein abgeschmeckt mit Mopedschwaden. Meiner Frau ist es die liebste Flaniermeile in der Gegend, gerne geht sie mit mir Hand in Hand von Stand zu stand und knubbert hier und da an den gekauften Leckereien herum. Und ich bemühe mich flach zu atmen ;-)


Das ist das Taiwan der Nightmarkets, bei denen entweder Gangster oder Anwohner kontrollieren, welcher Händler hier seinen Stand aufstellen darf. Natürlich hat keiner eine Lizenz. Alle paar Jahre sehe ich mal die Polizei Lizenzen kontrollieren. Dann machen schnell alle das Licht aus an den Ständen und die Polente tut dann so, als seien die Stände nicht vorhanden. Man muss nur die Regeln kennen als Händler! Der ein oder andere Nightmarket verschwindet heute um moderne Bebauung Platz zu machen. "Good Riddance" sagt man da auf Englisch.

Ganz in der Nähe hat sich die Ecke deutlich gewandelt. Modernere Bebauung ist hingesetzt worden und hat alte Schlichthäuser verdrängt - oder sie sind wenigstens mit Leuchtreklame zugepflastert. Ein Konditor ohne Meister einer solchen Kaffee-, Bäcker- und Kuchenkette hat sogar Sitzplätze draußen, wo Taiwaner ein leckeres Törtchen nebst Kaffee in einer unglaublichen Smogwolke direkt neben den räuchernden Mopeds genießen. Toll, was der menschliche Körper alles so mitmacht.

Hektisch, laut und voll ist es hier. Ich habe hier eine Zeit lang gewohnt - so unglaublich laut war es 24-Stunden am Tag, dass ich des nachts keinen Schlaf gefunden habe. Der Gesundheitszusammenbruch ließ dann nicht mehr lange auf sich warten. Um 22 Uhr haben sie immer die Straße neu aufgerissen damals, jede Nacht ;-)


 So richtig schöner ist das moderne auch nicht. Grün und Blumen gibt es nur auf der Werbetafel und den Bürgersteig haben sie hier auch wieder "vergessen".

An dem Verkehrsknotenpunkt nimmt eine protzige US-Kirche mit ummauertem Kirchhof den ganzen Platz ein, hier mit Weihnachtsdeko zu sehen. Ihren schönen leeren Kirchhof hätten sie ja auch zumindest teilweise den von Mopeds und Autos eingekeilten Fußgängern zur Verfügung stellen können. Aber nein. Aber schöne Säulen haben sie.

Hier sieht man was ich meine: Die Mauer des Krichengrundstücks und der fehlende Bürgersteig zwingt die Fußgänger wie den etwas links zur Mitte im Bild zum gehen auf der viel befahrenen Fahrbahn, der breite gepflasterte Hof der Kirche bleibt unbenutzt. Schuld sind natürlich die "Planer" Taiwans, die keine Bürgersteige planen.

 Gegenüber ein kleines Geschäft, das einem Franchise angeschlossen heiße Süßkartoffeln verkauft. Der leckere Duft mischt sich mit den Abgasschwaden an der Kreuzung. Bald werden sicher die Wellblechbuden verschwinden, die sich um Abbruchhäuser herum gruppiert haben, denn die Grundstücke locken sicher irgendwann Bebauung an. Ich habe schon öfter mal überlegt, dort eine Süßkartoffel zu kaufen. Man kann aber immer wieder Gruseliges erleben in Taiwan, wenn man als Ausländer mit Rudimentärchinesisch etwas an solchen Buden kaufen will. Entweder kriegt der Verkäufer eine Schreckstarre und ignoriert einen oder häufiger bricht er in nicht mehr enden wollendes Verlegenheitsgekichere aus und ist nicht mehr in der Lage auch nur die einfachsten Transaktionen hinzubekommen. Hatte das wirklich schon: Ich zeige auf die Ware neben der der Preis steht, winke mit dem abgezählten Geld, aber vor mir stehen drei Leute gucken sich an und wiehern wie eine Komikertruppe im Mel Brooks - Film. Solange bis man weggeht. Wiegt der vermutete Lustgewinn einer heißen Süßkartoffel den mit 33% - Wahrscheinlichkeit eintretenden Nervfaktor einer gescheiterten Transaktion auf? Nun: Eigentlich nicht, ich gehe immer weiter ;-)

Bei dem 85-Grad-Kuchenlade hätte ich auf dem Heimgang noch etwas leckeres mitgenommen. Fast. Aber die junge Frau in dem Schuppen hat mir schon so oft irgendwie genervt das Wechselgeld hingeknallt (während sie Einheimische normal behandelt), dass ich da auch nicht mehr hingehe. Vielleicht kaufe ich ja immer das Falsche. Es sind aber glaube ich die Kohlenmonoxidschwaden, die ihr einen Hirnschaden verursacht haben, ist meine Theorie. Nicht alle Taiwaner sind freundlich uns Westlern gegenüber, die meisten aber schon. Oder sie kichern halt ;-) Hmmm... Vielleicht hatte die Kuchentusse ja mal ein schiefgegangenes Date mit einem Englischlehrer gehabt - und ich muss es dann ausbaden. So ging ich hungrig zurück in mein Heim, in einem der immer weniger werdenen Schlichthäuser Taiwans. Man achte drauf, wie nah die Rückfront der Häuser an meinem Fenster nach Hinten raus ist.


Ein heißer Tee zu hause ist auch kalorienarmer als das abgasdurchtränkte Zeug da draußen. Und irgendwie ist es schon gemütlich in den Schlichthäusern. Manchmal sehe ich es mit den Augen meiner Frau, die diese heimelige Enge sehr mag und deswegen immer wieder solche Wohnungen aussucht. Und wenn man Glück hat, ist es viel leiser als es aussieht.


So müllig das Schlichthausviertel auch noch teilweise ist...


Hauptsache man macht es sich innen gemütlich, etwa mit THE WALKING DEAD auf der Heimkinoanlage. Meist aber mit Kopfhörern, den dünnen Wänden halber.

Spartanisch eingerichtet am Rand der Weltscheibe, Hochzeitsbild an der Wand. Richtig einrichten tue ich nie in Taiwan, wozu erst Bilder aufhängen? Hängt man bald nur wieder ab. Für das Hochzeitsbild war schon ein Haken da, ist auch noch ein Klingelkasten dran befestigt ;-)

 Die meisten dieser Schlichthäuser in der Umgebung sind schon weggerissen, hohen Verkaufspreisen zum Trotz...


... und neue Wohnblocks haben ihren Raum eingenommen, keine 100 Meter von meinem Wohnzimmer entfernt. Besser? Hmmm.... anders auf jeden Fall.


1 Kommentar:

Hinrich hat gesagt…

Taipei ist echt eine andere Welt. Hier in Kaohsiung gibt es zwar auch jede Menge chaotisch-südländische Ecken, aber selbst die letzte Bretterbude sieht unter subtropischer Sonne noch passabel aus. (Und wenn einen alles nervt, kann man schnell ans Meer fahren.) Aber es ist doch schon erstaunlich, dass in Taiwan kaum asiatische Baukunst aufgegriffen wird. Zumindest nicht bei Gebrauchsbauten. Bei uns hier im Süden hat zwar jeder neue Wohnblock einen eigenen Stil, aber als Langnase würde ich mir doch ein paar geschwungene Dächer oder sinisierende Elemente wünschen. (Ist in Tokyo, Seoul oder Beijing aber auch kaum anders. Leider.) Meine Gattin meint, dass "westliche" Bauten einfach sehr praktisch seien.