Gestern Nachmittag. Taiwan ist in der Woche vor dem chinesischen Neujahrsfest. Obwohl diese Woche noch gearbeitet wird, fällt mir auf, dass die Leute wesentlich lauter sind als sonst. Man bleibt länger auf, auch um Mitternacht noch schiebt der Mieter über mir jetzt seine Möbel hin und her. Manche Leute richten ihre Möbel zum chin. Neujahr nach den magischen Kraftlinien des neuen Jahres aus, hat mir mal meine Frau erklärt. Meine Gattin will auch Vorhänge in den Türen zu Küche und Bad anbringen, weil eine Sichtline von Fenster zu Fenster finanzielles Unglück bringen soll: weil Geld sinnbildlich von Fenster zu Fenster fliegen kann. Wir bohren ein bisschen, aber die sandigen Wände verlangen nach Dübeln und wir hören erst mal auf. Plötzlich Geschrei von draußen. Schräg gegenüber war mir aufgefallen, dass ein Kleinwagen den Vorgartenparkplatz samt dort geparkten SUV unserer Nachbarn parterre zugeparkt hat. Als der Fahrer mit seinem Auto nach ein paar Stunden verschwinden will, kommt der ganze bedrängte Familienklan aus dem Haus. Schnell ist der Fahrer von einem Dutzend Frauen und Männern umringt, ich sehe vom Balkon zu, weil ich eigentlich gerade spazieren gehen wollte - und meine Wohnungstür ist auf dem Balkon.
Die Leute gestikulieren mit Armen und Händen, schreien aus Leibeskräften, alle tun so, als wollten sie den PKW-Fahrer schlagen, tun es aber nicht. Er will wegfahren, doch die Familie hält seine Tür fest, Frauen mit Babys auf dem Arm stellen sich vor die Motorhaube. Die Stimmen schwellen mehr und mehr an, Passanten bleiben stehen und schauen zu. Eine Frau schlägt laut krachend auf die Motorhaube des neuen Kleinwagens, der Fahrer macht ein Foto vom Schaden mit dem Smartphone. Es schreint und tönt und tanzt herum, schließlich kommt ein Streifenwagen. Und ein Typ, der Vesitenkarten und Prospekte verteilt ist auch plötzlich da. Wahrscheinlich von einem Anwalt, der mit den Sherrifs zusammenarbeitet. Come on, vom Gehalt allein kann man nicht leben als Polizist. Ein schwarz gekleideter dicker Mann mit goldener Armbanduhr flaniert die Straße vor und zurück und blickt sich finster um, als würde er einen Angriff der anderen Nachbarn erwarten und regelt sogar den Verkehr ein bisschen*. Die Stimmung beruhigt sich etwa als die Polizei da ist. Ich denke vergnügt an die Reiseführer, die die Kultur Taiwans so erklären, dass die Leute hier alle ungeheuer gelassen sind und immer nur lächeln und nie schreien, während wir Westler so sagen auch die Taiwaner, eine Tendenz zum Streiten und Schreien hätten.
Überflüssig zu sagen, dass die Leute, die hier schreien, keine Westler sind. Ich packe meine Fototasche und gehe, Fotos vom Ereignis gibt es hier nicht, der temporären nachbarlichen Beziehungen halber. Später als ich wieder komme höre ich wieder Geschrei draußen. Ein Greis steht vor dem Haus und brüllt aus Leibeskräften hoch.
Feiertagsstimmung in Taiwan. Oder Taipei besser gesagt. Taipei ist so dicht bevölkert, dass die ausgelassene Feiertagsstimmung schnell in Aggression umschlägt die Tage, wohl weil jeder sich ein paar Freiheiten mehr nimmt als sonst. Der Straßenverkehr ist eh so eine Reizzone im überfüllten Taipei, wo die Leute ihre sonst so kontrollierten Aggressionen raus lassen, als gäbe es keine Schranken.
Die Woche über wird es gerade im Verkehr schlimmer und schlimmer werden. Die Leute fahren aggressiver als sonst, mehr Betrunkene sind auf den Straßen. Und während der 9 Tage Festwoche inkl. den beiden Wochenenden ab Freitag Nacht wird dann 24 h am Tage geknallt mit Kanonenschlägen. Die meisten Geschäfte haben zu. Die Taiwaner freuen sind unheimlich auf das chinesische Neujahr, wegen der Delikatessen zu hause bei Muttern, die speziell für die Tage gekocht werden. U.a. abgeschnittene gebratene Hühnerfüße. Und manches Leckeres. Schwiegermutter kredenzt die Hühnerfüße eher selten. Ich werde zu hause bleiben, viel Fernsehen und auch dem Alkohol zusprechen, denn weinschwer hört man den Radau nicht so. Festwoche! Noch mehr Mopedknattern, Chinaböller, Herumgegröle und Chaos auf den Straßen. Hurrah! Wir schreiben dann das Taiwanjahr 102 - die hiesige Zeitrechnung zählt ab Gründung der Republik China im Jahre 1911.
* Hat irgendwer auch die "Bambusgang" verständigt? Diese ... äh... Heimatschutztruppe entstammt dem Militär und ist sicher auch für die Ordnung in unserer Militärveteranenwohnanlage irgendwie zuständig. Der stämmig gebaute Herr wirkte sehr souverän. Danke an dieser Stelle noch mal an die Bambusgang für Taiwans sichere Straßen. Und ich werde doch wieder Sopranos gucken.
1 Kommentar:
Passend zum Thema:
Politikerprügeln in Taipei:
http://www.youtube.com/watch?v=Jo-TajmBr1s&playnext=1&list=PLA2E9EBB51DB0CC67&feature=results_main
Viele Grüße aus den schönen Bayern!
Michael
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