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Montag, September 03, 2012

Laien-Unternehmertum

Die Idee meiner Frau, Schwiegermutter ein italienisches Restaurant eröffnen zu lassen, findet nicht gerade meine Zustimmung, das ist vielleicht schon jedem klar geworden (http://bobhonest.blogspot.de/2012/08/ristaurante-la-mama-etc.html :-) und allen Göttern sei Dank ist in dieser Hinsicht auch noch nichts konkretes unternommen worden - außer mir den Nerv zu rauben. Mein Einwand war immer, das wir als La Familia in Punkto Gastronomie keine Erfahrung haben würden, aber - so machte meine Frau deutlich - mangelnde Fachkenntnis ist in Taiwan kein Hinderungsgrund ein Geschäft auf zu machen. In der Tat haben wir einen "Italiener" direkt an der Ecke, der wohl der Blueprint für die Pläne meiner Frau ist. Dieses Lokal machte vor etwa zwei Jahren zu meiner Freunde in einer ehemaligen Garküche bei uns an der Ecke auf. Freude nicht wegen dem Essen, denn es entpuppte sich anfangs als völlig geschmacklos, sondern wegen der Sauberkeit des neuen Pseudoitalieners. Picco bello ist die Sauberkeit dort, ganz das Gegenteil von der ekeligen Garküche vorher, bei der große Käfer zwischen Salatresten auf dem Bürgersteig herum krochen und das Kleinkind des Hauses hosenlos im Bürgersteigsalat stand und auf den Boden strullte. Wieso da noch Leute Essen gekauft haben begreife ich nicht, auch gerade wegen der Fäulniswolke aus dem Lokal - aber vielleicht ist ja zum Schluss jemand am Essen gestorben oder hatte einen Käfer zwischen den Zähnen, ich weiß es nicht.

 Frau (rechts, mit Gabel) übt sich in Personalmanagement für Restaurants. Hier allerdings beim Urlaub in Thailand. Thailand, nicht Taiwan. Verwirrte Leser sagen jetzt drei mal "Thailand Taiwan" hinterheinander und ahnen dann, es gibt einen Unterschied.

Der neue Italiener nun hat nur Nudelgerichte, Risotto und Pizza. Der große Renner unter den Nudelgerichten ist ein chinesischer Seafood-Nudeltopf, bei dem lediglich die chinesischen Nudeln durch Spaghetti ersetzt worden ist. Etwa 50% der Kunden bestellen das. Die restlichen 50% bestellen Spaghetti mit Seafood, mit einer Art Bolognese dazu. Ich hatte immer Nudeln mit weißer Soße und Hühnerwürfeln drin, völlig geschmacklos, ohne Salz und ohne Wein und ohne Gewürze, aber hübsch anzusehen. Und die Champignons an der Sauce waren recht lecker, da hat ja Mutter Natur schon gewürzt. Die Pizza ein untertassengroßes Ding ohne Geschmack, ein angeschmorter trockener Alptraum. Der Luigi in mir hatte da wohl seine erste Erweckung, wollte ich doch manchmal die Frau Oberin beim Kragen packen und schreien "Vino an die Sauce, Vino Blanco, und eine poco Oregano, aber prego!"

Rotwein oder Grappa gibt es dort nicht, Taiwanchinesen trinken nur süßen Eistee zum (genau genommen: nach dem) Essen, den es gratis gibt. Außerdem vermeiden viele Familienrestaurants die Gabe von Alkohol, da taiwanische Herren dafür bekannt sind, schnell beim Alk die Kontrolle zu verlieren und das Mobiliar zu zerschlagen, wie meine Frau das mal ausdrückte.

Aber eines war das Lokal: Brechend voll. Schnell expandierte es, in dem es die Bibliothek nebenan übernahm und in zusätzliche Sitzfläche verwandelte (macht nix, da haben die jungen Leute eh immer nur Mangas gelesen). Am Wochenende muss man lange vorbestellen für das einfache Essen, gestern am Sonntag Abend standen wohl 25 Leute auf dem schmalen Bürgersteig und warteten auf einen der begehrten Plätze.

Was gibt es dort sonst noch zu Essen? Saltimbocca a la Romana? Nein. Rinderfilet? Nein! Schweinefilet? Medallions? Nein. Maccaroni? Nein! Ravioli? Nein! Lasagne? Nein Nein Nein!  Leckere italienische Nachspeisen? Nein, oder wenn dann vom Supermarkt aus dem Tiefkühlfach.

Das Essen wurde etwas besser, als ein Konkurrenzbetrieb in der Nähe aufmachte, der deutlich besser würzte. Jetzt haben sich Oregano und Wein an die Gerichte verirrt. Vielleicht habe ich aber auch immer zu laut "No damned wine in the sauce and they think Oregano is state in the US" geschimpft und sie haben irgendwann nachgeschlagen was die Begriffe bedeuten.

Frau erklärte mir heute, die Betreiber seinen ehemalige Gemüsehändler. Hatten also einen kleinen schmuddeligen Gemüsestand auf dem "Nightmarket". Nie kochen gelernt, aber Nudeln kann halt jeder.

Meiner Taiwanfamilie hat es früher, als noch kein Geschmack am Essen war, viel besser dort geschmeckt, da sind sie immer wieder hin, heute eher selten. Bessere Italiener lehnen sie ab und jetzt wollen sie auch nicht mehr ins Eckristaurante. Zu salzig das europäische Essen. Zu groß und zu fettig die Pizza. Zu italienisch. Pfui deubel. "Wir Chinesen mögen es eben nicht europäisch", erklärte mir ein Taiwaner aus der Familie und lobte das italienische Ristaurante an der Ecke.

Was wird Schwiegermutter kredenzen? Fake Italienisch nur für Einheimische?
Nun, bislang haben wir das "Luigi-Siegel" eingeführt, das heißt in dieser frühen Planungsphase muss ich alle Gerichte erstmal gut heißen. Sonst werden sie nicht kredenzt. Bislang fand nur das Gulasch von meiner Frau meine Gnade, es war außergewöhnlich köstlich (sollten wir ein ungarisches Restaurant aufmachen?*). Daher ist jetzt auch viel "internationale Küche" geplant. Was meine Frau und Schwiegermutter für "Rinderroulade an grünem Spargel" hielten, fand trotz Drohungen, Ehekrach und mehrfachem Flehen und Lektionen über chinesische Gesundheitsküche NICHT meine Gnade. Kein Luigi-Siegel bekommen. In Rotweinessig sauer eingelegt salzlose Fleischfladen an grünem Spargel. Das geht so nicht.

Erschreckt hat mich meine Frau, als sie mir heute morgen erzählte, auch die taiwanische Massagepraxis (http://bobhonest.blogspot.tw/2011/11/nutella-oder-mayo-chin-trad-heilkunst.html), die massenhaft verstauchte und verquollene Gliedmaßen mit Massage und traditionell-chinesischen Packungen behandelt, sei ... ein Laienbetrieb, die Betreiber hatten vorher einen Fried Chicken - Stand oder sowas in der Art ... und machen jetzt viel Geld mit der ihnen unbekannten Gesundheitspraxis.

So gesehen wäre unser Ristaurante das orginalste im ganzen Stadtteil, habe ich doch einen echten italienischen Onkel, der leider schon verstorben ist. Zwar ohne Blutsverwandtschaft, aber im Vergleich zu den anderen wären wir richtig authentisch. Und mit Luigi-Siegel sowieso.


* Authentisch-ungarisch wären wir auch. Ich hatte mal für 2 Wochen eine Wohnung am Balaton in der Plattenbausiedlung gemietet und kann perfekt das "Chaotsch! Chaotsch!" nachsprechen, das G. Schmidt, wie mein Vermieter verwirrenderweise hieß, immer von sich gegeben hat.



Mehr zum Thema Taiwaner und italienisches Essen bei Luo2 Yuo1: http://luo2you1.blogspot.com/2012/09/italienisch-essen-mit-taiwanern.html

And now for something totally different: Der in Taipei lebende deutsche Journalist Klaus Bardenhagen wirft einen Blick in die Park und auf die Alten und ihre bisweilen vorhandenen Dienstmägde: http://www.intaiwan.de/2012/09/01/wenn-taiwaner-alter-werden/

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