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Montag, September 17, 2012

Käfignesien

Hier in Taipei-NeiHu im "Soldatenviertel", wo also viele Wohnblocks stehen, die ursprünglich nur von ehemaligen Militärangehörigen bewohnt wurden (viele aber heute weitervermietet), droht jeder Spaziergang bei mir eine Depression auszulösen. Hier mal ganz extrem, nahe der Hauptstraße stehen diese wesentlich höheren Häuser, allerdings im selben Stil erbaut, wie die sonst siebenstöckigen Gebäude.

 Während deutsche Wohnungen glasklare Fenterfronten haben, hat man in Taiwan diese individuellen Vorbauten, die ganz unterschiedlichen Zweck haben. Viele dienen nur Nutzflächengewinnung, denn in den Vorbauten lässt sich aller möglicher Krimskrams verstauen, etwa alte Kartonagen oder alte Hocker. Wo soll man auch sonst damit hin? Viele nutzen die Außenkäfige zum Wäschetrocknen, immer wieder findet man Höschen und Söckchen auf den tiefer gelegenen Vordächern. Andere bauen sich Panoramafensterchen, in die sich vielleicht nur ein paar Blumenvasen stellen lassen, denn die Wohnungen sind nach deutschen Vorstellungen oft etwas überbelegt. Jugendliche ziehen hier nicht so schnell bei den Eltern aus, sonst bleiben oft Wohnen, bis sie mit Ende 20 oder Anfang 30 verheiratet sind. Keller oder Dachböden gibt es auch nicht, also hat man schnell ein Zimmer als Abstellkammer. Oder eben ein vergitterter Balkon wird dafür genutzt.
Die Gitter dienen auch dem Schutz vor Taifunen, die sonst manchen Ast oder manches Werbeschild ins Fenster wehen würden. Und zum Schutz vor Fassadenkletterer, denn ein Ausländer schrieb einmal im Ausländerforum Forumosa.com, auch im 11.Stock sei bei ihm noch jemand durchs Fenster gekommen.

Die Vorbauten schützen auch etwas vor Regen, denn ganz dicht sind die Einscheiben-Schiebefenster selten. Manch einer, der etwas mehr Ruhe vor den wochenendlichen kleinen blauen Lieferwagen mit Lautsprechern (sehen aus wie der im Bild rechts von der Garage) haben will ("kauft Fong Hos Soyapudding, LECKER LECKER LECKER" - in ohrenbetäubener Lautstärke gespielt während er dreimal um den Block fährt oder gar seinen Wagen unten eine Viertelstunde stehen lässt) baut sich vielleicht Fenstervorsätze mit Doppelverglasung ein. Unten haben die Mieter ihren gemieteten Parkplatz für den Nissan Cefiro oder den Toyota Camry und die wenigen Stellen, die nicht vermietet sind, werden von den Wohnungsanliegern reifenstechenderweise als ihr Eigentum angesehen. Wenn man Glück hat ist die Straße etwas breiter wie hier, dann siedelt sich (wie hier) am Abend ein Nightmarket an. Dann hat man massenhaft interessante Verkaufsstände direkt vor der Tür, dazu das Geknattere von unzähligen Kundenmopeds und die lehrreichen Lautsprecherdurchsagen "Ping Hongs Kabel am Meter sind die Besten!"
Meist ist es recht ruhig, es sei denn der Nachbar spielt gerne Klavier oder hört gern laut traditionelle chinesische Musik (Mann, wie die Leierkreischen können, die Furien) oder in einem der zig Stockwerke zieht ein neuer Mieter ein, dann kommt eine Baukolonne und meißelt zwei Wochen lang die Wände auf, bis die Stahldrähte sichtbar sind, bevorzugt am Wochenende natürlich.

In so ein hohes Haus wie hier im Bild würde ich daher ungern einziehen, denn da ist es sehr wahrscheinlich, dass immer einer meißelt oder bohrt oder hämmert. Ruhig hingegen ist das siebenstöckige Haus wo ich wohne, da wohnen die höheren Dienstgrade, da ist verblüffende Ruhe. Generäle hören keine Musik, wie es scheint. Nur meine Nachbarin empfängt manchmal eine Christengemeinde, die sich immer in Taifunnächten zu unheimlichen (offensichtlich US-amerikanisch missionierten) "Ämen! Ämen!"-Rufen hinreißen lassen zu nächtlicher sturmgepeitschter Stunde. Das finde ich immer etwas unheimlich - und störend, weil sie dabei immer die Wohnungstür aufhaben. Aber wie sollte der altchinesische Gott des Sturmes, für den Jesus wohl der neumodische Ersatz ist,  sonst auch die heiseren Altweiberstimmen hören, bei all dem Windgeheul.

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