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Mittwoch, August 17, 2011

Familiensinn (aka "ein Neffe zu viel")

Bei der Neffenriege, die sich am Sonntag nebst ihren Eltern immer in Schwiegermutters Wohnung in Taipei versammelt, war mir schon immer aufgefallen, dass es einer zu viel ist. Fünf Jungs haben die vier Schwestern meiner Frau ja mittlerweile geboren und jetzt bitte nicht an "Abtreibung von weibl. Föten" denken; einer der fünf Jungs ist ja meiner und schwupps war er da. Die ganze Familie hat endlich mal auf ein Mädchen gehofft, aber da war es wieder ein Junge, was die Familie mittlerweile lachend als "Familienfluch" bezeichnet.
Früher war mein Junior ja noch gar nicht auf der Welt und trotzdem waren es immer fünf "Neffen", wie kann das sein?

 "Brüder" Drei und Vier von mittlerweile Fünf. Einen Sechsten von den Fünfen gibt es auch noch. Äh.... irgendwie so.

Der Überzählige wird "D-d" genannt, wirklich so als ob man den Buchstaben D zweimal so spricht wie man es in der Grundschule lernt (also "d" und nicht "de"), was die Chinesifizierung seines englischen Sprachschulnamens "David" sein soll. D-d ist der Längste und mittlerweile 15 oder so, wo kommt er her? Jedenfalls kriegt er die normale Neffenbehandlung, inklusive Ohrensaubermachen durch meine Frau. Hier in Taiwan wachsen Kinder immer behüteter auf, mich wundert manchmal, dass unsere 18-jährigen Neuzugänge in der Firma (wenn männlich) keine Windeln mehr tragen, aber so ganz sicher bin ich mir da auch nicht. Halt, stopp, jetzt spotte ich schon wieder, nur weil es hier kulturell anders läuft.

D-d ist der Schulfreund von meinem Lieblingsneffen und sozusagen mit in die Familie aufgenommen worden, weil seine Eltern sich nicht so recht kümmern, wie meine Frau ganz leise neulich sagte - nachdem sie jahrelang eine Erklärung für die Teiladoption von D-d, der aber noch bei seinen Eltern wohnt, verweigerte.

Sein Vater war schon über 50, als seine nur wenige Jahre jüngere Frau ihren D-d bekommen hat und kurz darauf ist der Vater entlassen worden. Hier in Taiwan ist der Jugendkult noch viel schlimmer als bei uns in Deutschland, wenn man mit Mitte Vierzig noch nicht im Management-Cubical sitzt, muss man zusehen, dass man Taxifahrer wird oder der Frau mit dem "Fried-Chicken"-Imbisswagen hilft. Die Familie hatte also Finanznot und D-d wurde schließlich mit einer Packung Instantnudeln als Frühstück erwischt. Ohne Wasser, hat also trocken auf dem Zeug rumgekaut. Die gibt es für nur 8 Taiwandollar zu kaufen, in einer öligen Variante, die man zur Not auch ungekocht essen kann als Knabberzeug, aber der trockene ölige Dreck hat mit menschlicher Nahrung nichts mehr gemein. Sein Mittagessen war wohl ähnlich karg, Frau erzählte davon, dass es manchmal ganz fehlte oder er wieder nur diese verdammten Instantnudeln hatte. So fing es dann wie es bis heute geblieben ist, D-d kommt spät abends vorbei und holt sich bei unserer Schwiegermutter (also der Großmutter seines Schulfreundes) seine Frühstücks- und Lunchbox für den nächsten Schultag ab und am Sonntag kommt er immer etwas früher zum Familienessen, damit er noch das kleine Zimmer von unserem Lieblingsneffen nutzen kann und dort ins Internet kann, was er zu Hause nicht hat.

Mittlerweile geht es seinen Eltern finanziell besser, seit vielen Jahren schon haben sie ein Schreibwarengeschäft, bislang hat das um die 35.000 Taiwandollar im Monat abgeworfen, weniger als 1000 Euro im Monat, für drei Leute nicht gerade Luxus in Taipei. Die Familie wohnt auch im Soldatenviertel wie auch Schwiegermutter und neuerdings ich auch, möglicherweise zahlen sie also keine Miete, denn Veteranen haben die Eigentumswohnungen billig zugeschanzt bekommen. In der letzten Zeit wird es finanziell wieder schwieriger, die Leute kaufen weniger Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, das Internet lässt grüßen. So ist es so geblieben wie es ist und D-d ist irgendwie der fünfte Neffe geworden. Oder der sechste der Brüder mittlerweile - denn die Kinder der vier Schwestern inklusive D-d werden alle als Brüder bezeichnet.

Taiwaner sind "Familienwesen", da machen sich westliche Ausländer hier oft auch drüber lustig, aber irgendwie ist es doch ganz nett, so mit Gruppenzusammenhalt am östlichen Tellerrand der Weltscheibe.


Übrigens hat Taiwan Beihilfen für sozial schwache Familien, wohl auch für Schulmaterial und Krankenkassenkosten können vom Amt übernommen werden. Eine völlig mittellose vierköpfige Familie würde wohl nur 4000 Taiwandollar als Beihilfe erhalten, meine Info hier erhebt aber keinen Anspruch auf Richtigkeit. Die Hemmschwelle solche Beihilfen zu beantragen ist wegen Gesichtsverlust aber sehr groß.
Gekündigte Arbeitnehmer erhalten für jedes Jahr, das sie da waren, ein Monatsgehalt.

5 Kommentare:

Patrick_secret hat gesagt…

Du könntest deinem Lieblingsneffen etwas programmieren beibringen dann klappt es eventuell mit der IT Karriere..

Anonym hat gesagt…

Lu Er Fu:
Ha..Instantnudeln, ungekocht, die Gewürzpackung drüber...dafür läßt mein Junior alles andere stehen. Vielleicht noch eine ungeschälte Gurke dazu und die Augen leuchten wie ein Komet.

"Ludigel" hat gesagt…

Hmmm... die Geschmäcker sind verschieden :-)
Meiner steht ja zur Zeit nur auf flüssige Ernährung. Unser einer bekäme sowas vorgeworfen, aber er darf das.

"Ludigel" hat gesagt…

Patrick, mein Lieblingsneffe soll gleich Chef werden, sagt meine Frau (sein Papa hat ja eine Firma). Dann kann er seinen Kumpel einstellen und zusammen können sie dann Instantnudeln im Chefbüro essen. Alles paletti.
Und mich stellt er irgendwann als IT-Opa ein, sitze im Keller und spiele Computergames, weil sich meine Linuxserver dann sowieso von allein pflegen ;-)

Reiner Wadel hat gesagt…

Eine schöne Geschichte und eigentlich ein netter Zug deiner Familie. Das macht mir die Taiwaner noch sympathischer.