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Mittwoch, Januar 02, 2013

Taipei Jonghe bei Nacht

Taipei-Jonghe ist ein hässlicher Industriestadtteil, in dem auch die Firma liegt, bei der ich seit einigen Jahren beschäftigt bin. Nein, die "mobile Immobilie" aus dem Foto ist es nicht, das ist ein Nachbarhaus ("Factory moved to Tucheng" steht da). Tagsüber vermeide ich gerne, auf dieser Straße zu gehen, da gibt es oft keine Bürgersteige oder keine benutzbaren, eine widerliche Smogluft aus Moped- und LKW-Abgasen liegt in der Luft und alle fahren, als müssten sie einem unbedingt Plattfüße verschaffen. Schmutzige graue Fassaden mit Firmen drin, viel hässliche graugrüne Wellblechanbauten, Hundekot und Betelnusspriem auf dem Boden. Auch nach all den Jahren empfinde ich das nicht als schön oder akzeptabel, aber für die Taiwaner ist es eben zweckmäßig. Doch des Nachts legt sich ein gnädiger dunkler Schleier über alles. Und wenn man dann noch bei der Bildbearbeitung die Farben etwas stärker herein nimmt, wirkt es richtig hübsch. Ein bisschen wirkt es so, als habe man die Skyline von Taipei (fast einziger Wolkenkratzer ist Taipei 101, das ehemals höchste Haus der Welt, rechts im Hintergrund) aufgeschnitten um im Vordergrund als Querschnitt das wahre Innenleben der Stadt aus kleinen Fabrikgebäuden zu erkennen, die sicherlich viel eher der Lebensnerv der Stadt sind als die glitzernden Vorzeigemeilen im Stadtzentrum.

Firefox vergrößert mit doppeltem Linksklick. 

In den Straßen hier habe ich manchen Schrecken bekommen. Etwas weiter links habe ich einst zwei verletzte junge Frauen gesehen, die mit dem Moped morgens zusammengestoßen sind und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht über den Asphalt gekrallt haben, blutige Hände zu rot lackierten Fingernägeln fielen mir auf. Der Berufsverkehr braust weiter um sie herum, auch Ludigel lenkt haarscharf um die ausgestreckten Hände herum. Taiwaner stehen am Rand, lachen und machen Fotos mit dem Handy. In Taiwan hilft man nicht, Unfallhelfer werden leicht wegen unsachgemäßer Rettung, unschicklicher Berührung (!) oder als angebliche Unfallverursacher verklagt.
Einmal habe ich gesehen, wie hier eine mopedfahrende Frau mit Säugling locker im rechten Arm mit einem sie einfach schneidenen anderen Moped zusammen stößt, die Frau rollt ich mit dem Baby auf dem Arm über den Asphalt ab, steht auf, lacht, schüttelt die Hand mit dem sich entschuldigenden Unfallverursacher und beide prötteln wieder ihrer Wege. Hoffentlich wird das Kind nicht mal nur Parkwächter nach dem Sturz. Aber jetzt werde ich schon wieder zynisch, dabei ist das Bild doch so hübsch. Links neben dem lila MKS-Schild (keine Ahnung was das für eine Fabrik ist oder war) eine kleine Polizeiwache, oben sieht man die erleuchteten (legalen oder illegalen?) Wellblechaufbauten der Büros der höheren Dienstgrade. Mit dem Verkehrschaos um sie herum haben die nichts zu tun, nur einmal haben sie Kollegen abkassiert, die in unsere Firma gefahren sind, weil die Ampelkreuzung da schon eine weiße geschlossene Linie auf der Fahrbahn hat, die man leicht touchiert bei der Einfahrt. Formosas Finest macht nicht viel, nur ein bisschen Falschparken und sonst werden die Geschwindigkeitskameras durch die Stadtverwaltung ausgewertet.

Aber überall wird Geld verdient, in den Büros und durch die Essenswagen, die zu mobilen Ständen zum Frühstück und zur Mittagszeit werden. Taiwan pulsiert hier ... und müffelt ein bisschen vor sich hin.


Ludigels NightSession Fotostream

P.S.: Das Objektiv, mit dem diese Aufnahmen gemacht sind, habe ich gebraucht für nur 8 Euro zzgl. Versand bei Ebay-Deutschland bestellt gehabt. Ein altes Minolta AF 3.5-5.6/28-80mm (D) Objektiv, die "Erstausstatter-Serie" aus Kunststoff. Es ist das bestgehasste Objektiv der Sony-Alpha - Nutzer und nach Meinung der Leute in den Foren kann man damit kein einziges Foto vernünftig machen. Sind aber alles Vorurteile, es funktioniert vortrefflich wie alle anderen Minolta-Objektive auch und wiegt fast nichts. Nur bei Nachtaufnahmen etc. aus freier Hand sollte man ein so wenig lichtstarkes Objtekiv nicht nehmen, aber meine Sony Alpha liegt hier bequem auf der Brüstung des Firmendachs. Einst soll das Objektiv einem mittlerweile verstorbenen Berufsfotografen gehört haben, der damit wohl Hochzeitsfotos etc. machte, dem Nikotinfilm auf der Linse nach zu urteilen. Doch der ließ sich wegputzen. Der Fotograf hätte sich sicher nicht träumen lassen, was seine Hochzeitsfeten-Linse noch alles zu sehen bekommen wird...

2 Kommentare:

Ralf N. hat gesagt…

http://www.mks.com.tw/index.html

Moin, schöner Beitrag,
MKS ist interessant zumindest für mich, die machen Flex-PCBs... kann ich für meine Arbeit gebrauchen, gleich mal gemerkt.

Ein paar Fotos von Taiwan hab ich inzwichen auch online:
http://www.auram.de/blog//index.php/2012/12/16/Taiwanreise.../

Viele Grüße,
Ralf N.

"Ludigel" hat gesagt…

Tolle Fotos, hier noch mal der Link von Ralf N:
http://www.auram.de/qdig/?Qwd=./Taiwan2012&Qiv=thumbs&Qis=S