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Mittwoch, Januar 09, 2013

Nerds und ihre Probleme mit dem realen Leben

Ein Multikulti-Schwank aus dem realen Leben. Na ja fast. Aus Taiwan eben.

Gerade ein extremes Beispiel von "Tooldenken" gehabt, bei dem alle hektisch durcheinander reden, alle mit Tools und Programmcode (i.d.F. gruseliges DOS) jonglieren wollen und keiner aber das Problem richtig versteht. Typisch taiwanisch will dann keiner analysieren um erstmal zwei Dinge zu verstehen:

1) Was genau ist das Problem
2) Was ist das Ziel?

Die Punkte lässt man in der Problembearbeitung in Taiwan erst mal weg, stürzt sich sofort in den Taumel, macht Überstunden und hat dann am 3. Tag das Problem durch Versuch-und-Irrtum gelöst. Und das in nur 85% der Zeit, die Deutsche dazu brauchen würden. Ich sehe es ja ein.

Aber eben, da ließ ich einfach nicht locker. Ich bestand darauf, dass die obigen Punkte erst mal geklärt wurden. Taiwaner wurden ärgerlich, ungeduldig, wollten immer magische Tools und Skripte von mir geschrieben haben, um ihr Problem zu lösen.

Reg' dich nicht auf Pferd, irgendwann wird der Spatz schon kommen.***


Das Problem: Ein DOS-Kommando gibt eine riesige Tabelle aus.
Von der Tabelle braucht der (neue) Mitarbeiter nur den letzten String, etwas in der Art von A35E7F.
Dieser String soll per Email an einen Kunden geschickt werden.

Was ich machen sollte: Als Informatiker sollte ich eine Art DOS Batch-Skript erstellen, das dann... den String herausfilterte aus dem Gewusele, ihn in eine Datei schrieb (denke ich mal), so dass der neue Kollege ihn mit Windows XP dann mit Notepad und der Maus heraus kopieren könnte, ihn in Outlook hinein kopieren könnte, um ihn dann an den Kunden zu schicken. 6 Zeichen!

Alle waren völlig verblüfft, wieso ich bei der topdringenden Angelegenheit nicht schon längst Code hackte, sondern immer noch debattierte! Wenn man in Taiwan nämlich nicht sofort loslegt, sieht das so aus, als sei man unwillig.

Meine Lösung war dann freilich nicht zu schlagen:

1. Nimm einen Kuli und schreibe die 6 Zeichen auf Papier (war ja unter DOS).
2. Nimm dein Notebook und tippe die 6 Zeichen in die Outlook-Email ein.
3. Email abschicken.

Das Problem trat nur an einem einzigen Rechner auf, also nicht etwa an 1000 oder so!

Sofort gingen alle an die Arbeit, keiner erwähnte den Vorfall auch nur mit einem Wort. Anders als in Deutschland lacht keiner über das Missgeschick oder sagt "Mann, so einfach.... wir haben viel zu kompliziert gedacht". Wegen drohendem "Gesichtsverlust" ist es besser so zu tun, als sei es nie passiert.

Multikulturelles Arbeiten ist immer wieder spannend, der deutsche und der taiwanische Arbeitsstil sind da völlig konträr.

Ein Taiwaner wäre jetzt am Code-Hacken und würde heute Nacht Überstunden machen. Und zeigt Einsatz für das Unternehmen, keine Frage.

Das war bislang der extremste Fall von technokratischem Denken, den ich je erlebt habe in meiner Computerei. Wo man also ein Tool schreiben will, anstatt 6 Zeichen einfach abzutippen. Auch habe ich es mal wieder nicht geschafft, asiatisch-milde zu lächeln und geduuuuuuuuuuuuuuldig zu sein, sondern man hat mir sicher angemerkt, dass ich genervt darüber war, dass vier Leute in einer Problem-Eskalationskette drin waren, ohne dass auch nur einer wusste, was das Problem genau war. Aber das ist der fixe Arbeitsstil hier und er führt auch zu Ergebnissen. Der Taiwaner rennt sofort los, wenn es auch erst mal nur grob in Richtung Ziel geht, der Deutsche hingegen will erst mal wissen wo er überhaupt hin soll... Meist ist trotzdem der Taiwaner schneller da, ich sehe es ja ein.

*** Deko aus dem Roadies: http://roadiescafe.com.tw/
Lecker Tex-Mex-US - Küche mit italienischem Einschlag (Chinaco-Style ist das dann wohl)

4 Kommentare:

Chris hat gesagt…

Grins... :-) kommt mir sehr bekannt vor, ich arbeite als Ingenieur in Taiwan und obige Situation passiert öfters, sehr treffend beschrieben!

"Ludigel" hat gesagt…

Danke für den Zuspruch, ich bin also nicht allein, gacker.
Faszinierend ist, wie unterschiedlich die Verhaltensweisen von Menschen in Deutschland und Taiwan sind. In Deutschland würde ich bei dem Kollegen entweder vermuten, dass er völlige Anfängernervosität hatte oder ein... Problem mit lateinischem Namen. In Taiwan ist es irgendwie völlig normal. ;-)
Eigentlich ist hier alles irgendwie normal.

Y.-C. Lin hat gesagt…

Ha ha ha! Das ist ja lustig…
Ich habe den Blog entdeckt nachdem ich vor 3 Wochen wieder seit 11 Jahren meine Eltern in Taiwan besuchen konnte (lange Geschichte…) Bin in Deutschland aufgewachsen; denke eher und spreche Deutsch, von daher ist der Blog eine wichtige Schnittstelle für mich für die Denkweise und das Leben in Taiwan was ich nur in Auschnitten nur kennengelernt habe und in den Tagen bei meinen Eltern verstehen gelernt habe (auch wenn nur zu einem gewissen kleinen Teil).

Werde öfters reinlesen, wenn die Zeit es erlaubt…

Hmm, meine Vadder hatte doch recht, was Arbeitsweise und Kulturmatrix angeht, wie im Blog beschrieben wird… ist schon recht seltsam - da muß mal deutsche Gründlichkeit und Präzision rein =) XP LOL

"Ludigel" hat gesagt…

Danke für das Feedback. Was den Arbeitsstil angeht, so funktioniert aber normalerweise beides. Ein Taiwanteam fängt sofort an zu hacken oder auch zu löten, mit langen Überstunden und enormem Einsatz und ist dann tatsächlich in Tagen gezählt recht schnell fertig mit 85% der deutschen Qualität. Deutsche lehnen sich erst mal zurück und planen und legen dann ohne so viel Irrwege los, sind meist aber langsamer als das Taiwanteam, mit einer etwas besseren Lösung. Das ist mein subjektiver Eindruck.

Hier in dem Beispiel ist es ein Extrema, weil das Programmieren erst gar nicht erforderlich wäre, wenn man nachdenkt. Der neue Kollege war da auf einem Holzweg denke ich mal, Anfängerding oder so.