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Mittwoch, Mai 02, 2012

Bequem eingerichtet

Beim Anblick dieses Fotos, von meiner Wohnung aus fotografiert....


... kam mir so der Gedanke, dass sich nicht nur die taiwantypischen Straßenhunde unten vor meiner Wohnung bequem eingerichtet hatten, sondern auch ich ein paar Stockwerke höher nun ganz bequem in mitten der grauen Käfigfensterkulisse der Soldatensiedlung hier in Taipei vor mich hin lebte. Auch wenn ich oft denke es ist ein Leben, wo vieles lebenswerte fehlt. Etwa entspannendes in die Innenstadt fahren (hier Stress, Smog und Chaos aus meiner Warte), Zeit in halbwegs intakter Natur und das Treffen mit Freunden. Aber in der Tat ist es mir im nunmehr achten Jahr (oh mein Gott!) recht bequem hier am Rande der Weltscheibe geworden. Nach einem Kulturschock-Phasenmodell bin ich wohl in Phase III, wo man sich arrangiert hat mit Taiwan. Vielleicht ist es für andere auch interessant das mal zu lesen, schließlich verbringen "Kulturpädagogen" ihre Zeit in Deutschland beim Studium nur mit Klavierspielen, Singen und Aerobic, wie uns Informatikstudenten mal ein Kulturpädagoge sagte damals beim Studium. Da kommen sich nicht dazu, Modelle aufzustellen ;-)

Riecht man exotische Gerüche oder den Gestank der vorbei rasenden Mopeds? Alles eine Frage der Phase des Kulturschocks


Phase I:
Meist 0-3 Monate Aufenthaltsdauer in Taiwan
"Hurrah! So ein tolles Land! Schöne Frauen, freundliche Menschen, gutes Essen, schicke Tempel. Und dass wo ich dachte Taiwan sei ein armes Dritte-Welt-Land! Hier haben alle einen japanischen Mittelklassewagen und haben in Heidelberg Urlaub gemacht. Und kein Mensch frisst hier Hunde, das ist ein Vorurteil! Und mein Chef ist soooooooo freundlich! Und die tolle Großfamilie, die ich bekommen habe!"
Hier ist man im Urlaubsmodus.

Phase II:
Meist 4 Monate bis 5 Jahre Aufenthaltsdauer in Taiwan, kann aber auch länger dauern.
"Oh Fuck! Es ist 5.30 Uhr morgens und die Nachbarn hämmern schon wieder. Wo ich sowieso die ganze Nacht nicht schlafen konnte, weil oben auf dem Dach die Wasserpumpe hämmert und draußen die A... mit ihren knatternden Mopeds vorbei fahren. Und gleich wieder ins Treppenhaus, wo es nach Urin riecht, weil diese V....i.... immer ihre Hunde ins Treppenhaus lassen zum Gassigehen. Und dann der Stau und der Gestank. Und jeder U....... hier will mir über die Füße fahren. Und dann dieses Gelabere von 5000 Jahren Kultur. Was haben sie denn gemacht die ganze Zeit? Nicht mal Regenrinnen gibt es, ständig tropft einem der Siff auf..... etc etc etc"
Ach ja, und Hunde fressen sie doch. Auf dem Land, immer kleine Schwarze im Winter. Soll gegen die Kälte helfen! 

Hier  hat man gemerkt, dass man auf Dauer Lärm- und Geruchsbelästigung nicht mehr in Urlaubsstimmung ausblenden kann, sondern fremde Sitten (die irgendwie immer mit Radau, Reifenspur-Gefahr für die Füße und Gestank zu tun haben) für lange Zeit Teil des eigenen Lebens sein werden.

Phase III:
Man lebt da wo es leiser ist oder man hat sich an den Krach gewöhnt. Man sieht die grauen Baracken nicht mehr sondern hat eine Art optischen Filter, der nur hübsche Frauen und Grün wahrnimmt. In Praxi in Taipei: nur hübsche Frauen. Man beschäftigt sich viel mit Hobbies, mache fangen an zu Trinken um Tristesse zu kompensieren. Man konzentriert sich auf die Familie und den Beruf.
Fängt an sich mit Taiwan zu identifizieren, findet die Heimat und ihre Menschen bisweilen komisch.

Phase IV:
Assimilation. Oder auch "geistiges Nirvana" genannt. Man liebt Taiwan, denkt wie ein Einheimischer. Alles ist einem egal.

Ausgenommen vom Modell:

Reiche Ausländer in Nobelvierteln, Geschäftsleute auf Besuch (höchstens Phase I, sehen sowieso nur schicke Sekretärinnen, die passable Innenstadt Taipeis und schicke Hotels).
Sinologen: Die werden mit Phase IV "geboren".
 Wer allerdings hier nicht eingeheiratet hat, hat sowieso den Vorteil dass Taiwan draußen bleibt, wenn er die Hotelzimmer- oder Wohnungstüre schließt, was es leichter macht...

[Das mit dem Modell hatten wir neulich schonmal. Aber das Bildungsfernsehen wird ja auch wiederholt]

3 Kommentare:

Tamasü hat gesagt…

Da fehlt noch die Messias-Phase.
Der sozial und interkulturell kompetente Ausländer versucht, die Taiwaner zu bekehren.
Pünktlichkeit, Fahrweise, Folien-auf-Smartphone, Kinder-auf-Scooter, Hund-auf-Speisekarte, Qualitätsbewußtsein, Naturschutz, Immobilienpreise, vorausschauendes Denken, Ernährung, Kindererziehung, you name it.
Sein rücksichtsvolles Bemühen, sich soweit zurück zu nehmen, daß seine deutliche Überlegenheit in Wissen und Kompetenz fast völlig hinter seiner hart erarbeiteten Bescheidenheit verschwinden, wird von den Taiwanern regelmäßig nicht gebührend gewürdigt.
Das völlige Fehlen von Einsicht findet er unbegreiflich, da die Korrektheit seiner Ansichten doch offensichtlich sind. Er führt es auf schlichte Denkmuster zurück, welche notwendigerweise manchmal robustere Methoden zur Artikulierung seiner Meinung nötig machen.
Diese Phase wird definitiv nicht durch Einsicht einer Seite beendet, eher durch "Du kannst mich mal ...", auf beiden Seiten.
Rückfälle sind häufig.

"Ludigel" hat gesagt…

Stimmt, die ist irgendwie um Phase II herum. Erinnere mich auch noch. Neffe und seine Mutter haben schwere Allergie und hohes Fieber, fressen beide Allergietabletten. Ludigel sieht schwarze "Felltapete" aus Schwarzschimmel und weist auf die bekannten Gefahren von Schwarzschimmel hin. Und wundert sich, wieso man so überhaupt leben will - damals!

Reaktion: Kopfschütteln, seien Ausländerphantasien, Übertreibungen, beträfe nur Ausländer (und juckt sich dabei am allergischen Ausschlag).

Ist genetisch! Auch das Asthma!

Komisch, nach dem Umzug waren alle Beschwerden weg (Umzug wegen Familie, nicht etwa als Konsequenz).

Bis dahin hat sie mir gegenüber noch mehrfach ihre Beschwerden erwähnt und ich sagte "IST GENETISCH!" Sie hat mir begeistert zugestimmt. Seither komme ich viel besser klar.

Ich kommentiere die zahlreichen Aussagen über Asthma immer mit "ist genetisch" und lache und alle sind froh und begeistert.

Bewundere ihre Fahrkünste (Klassen besser als Indien) und zucke nur noch mit den Schultern. Mir egal was die Leute machen.

Andere Kultur, anderer Blödsinn... So nähert man sich dem geistigen Nirvana, der Phase IV (schauder)

Afrika Frank hat gesagt…

Hallo Ludigel
Ich lese deinen Blog schon seit Jahren und geniesse die Einblicke in die Taiwanesische Gesellschaft. Als Admin bin ich sogar im gleichen Bereich tätig.
Habe auch jahrelang im Ausland gelebt (Türkei und Afrika)und kann deine Gefühlslage als Expat gut nachvoll ziehen.
Mir ging es ähnlich. Erst ist es wie im Urlaub, später Routine und dann nervt es nur noch und man ist froh wenn man mal was anderes sieht.
Viel Spass noch beim Blog und mach weiter
Gruss Frank