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Montag, Februar 10, 2014

Das Alpha-Experiment

Ein bizarres Experiment über und unter den Wolken. Nur für starke Nerven, nicht für Jedermann.

Manchmal werden Experimente veranstaltet, bei denen einen die Haare zu Berge stehen. Schlimm war das jedenfalls, was ich die Tage als Experiment durchgeführt habe: Ziel war festzustellen, ob eine 90 US-Dollar Chinauhr Automatik mit zweiter Zeitzone, alles mechanisch, sich als Reisebegleiterin auf meinem 9-Tages-Trip in den kühlen deutschen Norden eignen würde zur Winterszeit. Würde die drehbare Lünette mit 24-h-Skala abfallen beim Einstellen der dritten Zeitzone bei der Zwischenlandung? Würde ich irritiert wegen Falschanzeige den Flieger verpassen? Würde das Glas beschlagen wegen Klimawechsels? Ich war bereit das große Experiment mit meiner "Alpha GMT" aus Hongkong zu wagen, auch wenn mir die Uhr im Vorfeld nicht gerade durch gute Verarbeitung aufgefallen war. Genau gesagt war ich erst geneigt, eine solidere Auswahl beim Griff in meine Uhrenkiste für die Reise zu treffen, etwa ...

... meine Invicta 5053 "Pepsi" (85 US-Dollar, rechts) statt der chinesischen Alpha GMT (links) oder auch die sehr solide...

Orient "Pepsi" für um die 100 Euro. Allerdings hatte nur die Alpha die zweite Zeitzone über den kleinen zusätzlichen 24-Stunden-Modus-Zeiger (den man frei einstellen kann auf welche Zeitzone auch immer), so dass die Wahl auf die Kantonesin fiel statt auf die US-Uhr mit japanischem Werk (Invicta, mit schweizer Kreuz im Logo) oder rein japanischer Uhr (Orient).

Randnotiz: Wieso sehen sich eigentlich alle meine Uhren so ähnlich? Never mind. Andererseits merkt meine Frau dann nicht, dass ich schon wieder eine neue Uhr gekauft habe. Im Uhrforum, wo ich Mitglied bin, wurde mal diskutiert, die Alpha GMT als Hommage an eine alte Rolex mit ins Fluigzeug oder die Airline-Lounge zu nehmen könne peinlich werden, könnte man doch etwa in der Business-Class am Ende einen das Original tragenden Uhrenfreund neben sich sitzen haben, der dann empört auf die billige Replik starren würde und unter Whisky und Snacks nach Luft schnappt. So hatte ich mich auch schon geistig für peinliche Begegnungen mit empörten reichen Leuten gewappnet, die einem übel nehmen, dass man statt 14.500 Euro für die aktuelle Rolex GMT (hat mir mal jemand gesagt, dass sie soviel kosten würde) nur 90 Dollar für eine im übrigen völlig legale Design-Hommage ausgegeben hätte. Da das Geschmacksmuster dieser ursprünglichen 60er-Jahres-Uhr längst abgelaufen ist, wäre die Empörung auch recht grundlos.

So trug ich tapfer meine Hongkong-GMT erst auf dem Beifahrersitz eines Porsche Panamera (gehört einem reichten Bekannten und zumindest das Auto hat auch eine hübsche Uhr, siehe Bild), dann in der Airline-Lounge von Thai...

 .... und auch sonst überall während meiner Reise ins kurzzeitig noch winterliche Deutschland im Jahre 2014.

Natürlich hat die Uhr nie irgendjemand beachtet, nicht über schweizer Bergen nach dem  Umsteigen in Zürich...

...

... und auch nicht beim Lesen des WATCH-Magazins in der Airline-Lounge...

... hier über dem Bild einer GMT vom "Namenspaten" Omega liegend, dessen Firmennamen das chinesische Unternehmen zu Verkehrung des Omegas in ein Alpha karikiert hat (Alpha baut auch Omega-Hommagen: http://osttellerrand.blogspot.tw/2013/11/das-alpha-tier-der-uhrenwelt.html).   
Ich vermute, ich wäre in der thrombosegefährdeten Economyklasse sehr viel gefährdeter gewesen, von einem dauergewellten deutschen Bangkokbesucher die Vorzüge einer Festina Sonderedition Tour de France 200X erklärt zu bekommen, als dass man in der (wegen meiner zurückliegenden und auf zu kleine Schreibtische und Taiwanschuhe zurückführbaren ehemaligen Mini-Thrombose gebuchten) Businessklasse auf seinen Handgelenkticker angesprochen würde.

"Lolex"-Kehrseite im Vergleich zur Rolex-Kehrseite, nur der Uhrenfreund kann hier einen wohligen Schauder empfinden, von wegen Tabubruch.

Um es kurz zu machen, wie hat es also geklappt? Nun, die Uhr lief automatiktypisch mittelgenau (13 Sekunden Vorlauf pro Tag, durchaus üblich bei Automatiken unter 500 Euro), mit guter Gangreserve (jedenfalls mehr als 24 Stunden) und der kleine rote 24-Stundenzeiger zeigte mir die jeweils andere Zeitzone zuverlässig an, wenn man sich erst mal dran gewöhnt hatte, dass er der Zeit immer etwa 20 Minuten hinterher hinkte - was man durch Anpassen der 24-Stunden-Skala durch leichte Drehung nach Links kompensieren konnte. Edit: Dies "2. Zeitzone hinkt hinterher" soll auch eine bekannte Krankheit bei leicht gealterten ETA-Original-GMT-Werken wie dem 2893-1 sein und ist bei der Alpha gleich fabrikseitig der Fall. Die Uhr nervte freilich beim Umstellen der Hauptzeitanzeige auf die andere Zeitzone durch Mitverstellen des 2.-Zeitzone-Zeigers, was den Sinn der Uhr dann doch ziemlich einschränkt und den Rückgriff auf die Uhr an der Wand oder eben eine von mir mitgeführte Quarzuhr erforderlich machte. Wenn man sowie eine Zweituhr mitnimmt kann man eigentlich gleich auf die GMT verzichten, ich gebe es zu. EDIT: Das Mitverstellen der 2. Zeitzone bei verstellen der Normalanzeige ist auch bei ETA-Originalwerken wie beispielsweise dem 2893-1 (...-3) der Fall, wie ich seit Inbesitznahme meiner Hamilton Khaki Navy GMT weiß.

Vor der Rückreise ging die zweite Zeitzone dann soweit nach, dass sie die falsche Stunde anzeigte und musste nachgestellt werden, was aber nicht so dramatisch ist meiner Ansicht nach. Dramatischer war....

.... dass die Uhr auf den Wechsel von kalter Außenluft und deutscher Heizungsluft allergisch auf das Drehen am Tauchring reagierte und ich veritabel nach kurzem versehentlichen Drehen in der falschen Richtung den ganzen geriffelten Ring in der Hand hielt. Der ließ sich zwar sofort wieder drauf setzen und rastete auch brav ein, dabei hatte ich dann aber schließlich den farbigen Blechring mit der 24h-Skala in der Hand, weil der offensichtlich mit viel zu wenig und mittlerweile honigweichem Klebstoff angeklebt war. Auch wenn Uhrmacher eher mit etwas anderem kleben, ließ sich das jedoch mit einem vorsichtig aufgetragenen Pattexfaden lösen - seither hält die Farbskala bombig fest. Trotzdem hatte ich danach immer ein ungutes Gefühl, wann immer ich auf die Alpha blickte - ob eben noch alles dran saß an dem Ding, was in Hongkong einst angebaut worden war. Und die für die Uhr irgendwie zu große und sehr scharfkantige Krone, die sich mit während der Reise beim Kofferschleppen öfter mal in den Handrücken grub und eine schmerzhafte rote Stelle hinterließ trug auch nicht gerade zu angenehmen Tragegefühl bei. Ebensowenig wie die scharfen Unterseiten der Hörner der Uhr (das sind die Fortsätze rechts und links neben dem Armband am Uhrenkörper). Das scharfe Metallarmband, das einen Schleifpapiereffekt hatte, war ja schon vor der Reise gegen ein neutrales Lederband ersetzt worden.

Am Ende war ich froh die Alpha am Ende des Urlaubs wieder in der Uhrenschublade verschwinden lassen zu können, wo sie jetzt wohl auch lange Zeit liegen bleiben wird. Und habe mit großen Vergnügen eine schlichte blaue Orient umgeschnallt - ohne Rot am Drehring, damit ich möglichst wenig an die doch oft unangenehme Zeit mit der Alpha erinnert wurde. Das Fazit fällt daher auch wenig verblüffend aus: Eine genau gehende Automatik mit mechanischer zweiter Zeitzone für nur 90 US-Dollar ist eigentlich zu schön um wahr zu sein. Auch wenn sie schon funktioniert, ..... die Alpha ist eben in der Tat ... genau das. Zu schön um wahr zu sein.

Ich liebäugele jetzt mit der deutsch-schweizerischen Steinhart GMT (http://www.steinhartwatches.de/de/GMT-OCEAN-1-BLUE-RED,9.html), auch dem großen Vorbild sehr ähnlich sehend, aber grundsolide. Mein Probelauf mit der Alpha war eigentlich auch nur ein preiswerter Probelauf für die Steinhart. Oder nächstes Jahr doch wieder die Alpha? Wir werden sehen...

Nachtrag: Als ich in Zürich war, hatte ich von der Einwanderungsvolksabstimmung der SVP gar nichts mitbekommen...


 In ein paar Jahren fragen einem am Ende strenge SVP-Herren mit Tag-Heuer-Armbanduhren, was man in der "Schwiez" will und warum man nicht in Amsterdam oder Brüssel umgestiegen ist. Schröcklich würde es aber erst, wenn die Lindtschokolade und die Tissot-Uhren teurer würden, da würde ich auch gerne noch mal eine.... Never mind.

8 Kommentare:

M. Bögli hat gesagt…

Mach Dich nur über die Schweizer lustig. Sie haben nichts anderes verdient! ;-)

"Ludigel" hat gesagt…

Na ja, ich habe durchaus Verständnis einerseits, gucke aber verblüfft auf die möglichen Probleme und bin vom gesamteurop. Antiansatz nicht so ganz begeistert, aber das ist schweizer Sache. So ambivalent wie ich war, konnte ich ein Scherzl nicht lassen ;-)

patrick_Secret hat gesagt…

Warum fliegst du über ZRH?
Die Emirates fliegt jetzt auch nach TPE

"Ludigel" hat gesagt…

Frau bucht immer über eine eigenartige Weltreise-Seite, wo dann die Businessklasse billiger ist als sonst. Da muss ich also zurück woanders umsteigen als hin ;-)
Gut, muss mal gucken was Emirates Business oder dergleichen direkt kosten würde, aber ich denke sie kriegt es da noch billiger.

Dunkelangst hat gesagt…

Ich hatte mal eine Swatch Uhr - ebenfalls mit einem Taucherring. Damals habe ich mich gefragt, welchen Sinn dieser Taucherring wohl haben soll, wenn die Uhr nur 30m Wasserdicht ist. Gar keinen, denn nach den ersten sechs Wochen hatte ich den Ring komplett in der Hand - abgedreht.

Einige Wochen später habe ich meine erste G-Shock von Casio geschenkt bekommen... :)

Deine Uhren gefallen mir optisch auch sehr! :)

"Ludigel" hat gesagt…

Meine Pepsi-Uhren-Phase ;-) Verzweifelt, was man denn nun mit dem Standardtauchring, der in Sekunden beschriftet ist, anfangen kann, bin ich ja wirklich auf eine Anwendung gekommen: Will man etwa die deutsche Zeit als 2. Zeitzone in Taiwan ablesen, so muss man über den Tauchring nur einstellen ob die Zeitverschiebung gerade 7 Stunden (Normalzeit) oder 6 Stunden (Sommerzeit) beträgt, in dem man die Nullposition des Tauchrings auf 6 oder 7 stellt. Funktioniert natürlich auch bei anderen Zeitzonen. Dann nimmt man die Sekundenangabe des Stundenzeigers (der die Taiwanzeit zeit) mal 2 und teilt sie durch 10 und man hat die deutsche Zeit!

Die Alpha hier hat natürlich die 24-Skala für den 24-h-Zeiger, mit Pattex hält die Skala jetzt auch.

Dunkelangst hat gesagt…

Sehr interessante Anwendung für den Tauchring, Ludigel! Gar nicht so dumm, da man direkt die Uhrzeit ablesen kann.

Ich stehe inzwischen sehr stark auf Digitaluhren. Einfach weil man den Zahlenwert bequem addieren bzw. Subtrahieren kann ohne groß überlegen zu müssen. Hier in Deutschland ist es gerade 20:17 Uhr + 7 Stunden bedeutet 3:17 Uhr morgens bei Dir in Taipei. Die Freischaltung meiner Kommentare wird also noch ca. sechs Stunden dauern. Dann ist es bei Dir ca. neun Uhr Morgens während ich das um zwei Uhr Morgens nicht mitbekommen werde, weil ich noch im Koma liege...

Ich bin seit einem Jahr wieder in Deutschland und rechne immer und ständig hin und her... ich hab noch immer Heimweh nach Asien.

"Ludigel" hat gesagt…

Gut abgeschätzt, um 8.35 freigeschaltet ;-)