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Freitag, Februar 14, 2014

Wieso eigentlich "Taiwahn" mit H?


Rechtfertigungsmodus an ;-)

Ich wollte es schon immer mal erklären, weil es immer wieder zu Missverständnissen führt. Wieso habe ich Taiwan manchmal als "TaiwaHn" bezeichnet und damit irgendwie impliziert es sei möglicherweise ein Land, in dem wahnsinnige Dinge geschehen oder gar schlimmeres? Wörtlich genommen wirkt diese meine Wortwahl in der Tat oberflächlich, unfair und herabwürdigend. Tatsächlich ist aber gemeint:

1) Jedes Land hat das, was ich eine eigene Kulturmatrix nenne. Beispielsweise bewerten Taiwaner (Fürsorge für die) Familie und das Recht auf Entfaltung im Individualverkehr als sehr viel wichtiger als Deutsche. Taiwaner opfern sich für Eltern etc. manchmal regelrecht auf, während Deutsche eher die Abnabelung vom Elternhaus vollziehen und das im Gegensatz zu Taiwanern meines Erachtens nach schon recht früh. Deutsche rasen auch gerne mit dem Auto über die Autobahn (viele jedenfalls), bewerten aber Sicherheit und Ökologie in Sachen Straßenverkehr sehr viel höher als Taiwaner. Mein Wohnviertel hier in Taipei mit seinen engen Gassen und fehlenden Bürgersteigen wäre in Deutschland etwa eine Spielstraße mit Bodenschwellen. Hier in Taipei jedoch rasen Autos mit 60 durch, dass man manchmal zur Seite springen muss.


Die Verhaltensweise der Deutschen ist an die deutsche Kulturmatrix angepasst, die der Taiwaner natürlich an ihre taiwanische. Mit Matrix ist hier übrigens nur eine mathematische Schreibweise von Werten gemeint (die man in Klammern zusammenfasst und das Ding dann Matrix nennt), ausdrücklich NICHT der Kinofilm "The Matrix". Nur zur Klarstellung.
Das Verhalten von einem anderen Deutschen, der einer innerlichen eigenen Wertematrix folgt, die gravierend von der allgemeinen deutschen Kulturmatrix abweicht (Matrix ist hier also mit "Wertesystem" zu übersetzen) wird man in Deutschland i.A. als "verschroben" wahrnehmen, eventuell sogar als wahnsinnig. Beispiel: In meiner Deutschlandzeit ist ein Nachbar immer mit 80 durch unsere heimatliche recht enge Tempo-30-Zone gerast und ich habe den Verkehrsrowdy als "Wahnsinnigen" o.ä. bezichnet wenn er mir in den Wohnstraßen mit Lichthupe auf der Stoßstange klemmte***. Hier in Taipei würde er mit der Fahrweise kaum auffallen.

Fotos im Longshan-Tempel Taipei aufgenommen

Sind also die Taiwaner "wahnsinnig" und wir Deutschen vernünftig? Antwort: Natürlich nicht, wir folgen nur anderen Wertesystemen mit unserem Verhalten. Aber deshalb empfindet man einen Taiwaner nach den eigenen deutschen Maßstäben insbesondere in der Anfangszeit einer Umsiedlung hierher oft als unlogisch handelnd. Man hat also den Eindruck, die Dinge im kulturell fremden Gastland seinen "verrückt" organisiert, während sie in Wirklichkeit nur anders organisiert sind. Manches ist besser (Familienzusammenhalt), manches schlechter (Herumrasen in bürgersteiglosen Wohnvierteln). Das Scherzwort "Taiwahn" weist etwas augenzwinkernd auf diesen Umstand hin.

2.) Der Mensch wird durch soziale Rückkoppelungen im Verhalten korrigiert. Beispiel: Fahre ich oft mit pfeifenden Reifen los, sagt mir meine Familie oder Nachbar vielleicht anfangs im halben Scherz, ich solle mal weniger hektisch aufs Gas treten. Hier in einer fremden "Matrix" erhalte ich weniger Rückkopplungen, weil mich die Leute eh als Fremden ansehen und vielleicht einfach tolerant sein wollen. Und ich selbst empfinde die hiesigen Normen als so fremd, dass ich mich ihnen nicht ganz und gar unterwerfen will.. Die Gefahr ist, dass sich dann merkwürdige Verhaltensweisen einschleichen oder einfach die Konfrontation mit einem ungewohnten Kontext bisweilen merkwürdiges Verhalten auslöst. Beispiel: Ein Expat, der mal im Ausländerforum angegeben hat, den Gastgeber bei einem Firmenfestessen dahingehend beleidigt zu haben, dass er das Essen als "Zuhause bei mir wäre das Schweinefutter, hier ist es eine Delikatesse" tituliert hat. Auch wenn das stimmen mag zeigt der Umstand, dass er sich so verhalten hat natürlich seine Distanz zum Wertesystem des Gastlandes auf, die in schrulligem Verhalten gemündet ist.

Auch sich in bestimmten Situationen merkwürdig verhaltende Ausländer sind mit dem "Taiwahn" gemeint, denn manchmal trifft man oder hört hier von Expats, die sicher gerade mal in ihrem persönlichen Taiwahn gefangen sind. Der Autor nimmt sich hier nicht aus (wehe irgendjemand postet Beispiele in den Kommentaren ;-)

Womit wir nachgewiesen haben, dass sich hinter meiner vordergründig flapsigen Bemerkung also nichts anderes als multikulturelle Weisheit verbirgt (hust).


*** Er hatte übrigens später einen tödlichen Unfall mit Trunkenheit verursacht

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