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Mittwoch, Juni 15, 2016

Ende eines Geschäftsmodells

Droht das Ende des "Ingenieurbüros Taiwan" in der Computerindustrie? Jedenfalls im bisherigen Sinne ist das bei uns der Fall

"Mein Unternehmen" [Edit: i.S.v. Arbeitgeber] gehört zu den großen taiwanischen Computer-Hardware-Herstellern. Zwei unserer Konkurrenten sind mit eigenem Markennamen und einer davon mit Smartphones aufgestellt, während wir uns auf das sogenannte ODM/OEM-Geschäft konzentriert haben. Die Bedeutung der Kürzel ist eh verwirrend, daher sei kurz erklärt wie das ablief bisher:

 Das Ende ist auch irgendwie schön*

a) Ein Chiphersteller wie Intel oder AMD kreiert in den USA eine neue CPU. Diese wird auf ein Demo-Motherboard gesetzt, das in der Tat made in USA ist. Man muss jetzt nur noch Speicherriegel einstecken und Stromversorgung anstöpseln, dann ist der Computer (ohne Box natürlich) fertig.

Gewissermaßen treiben die CPU-Hersteller den Prozess an.

b) Das Demoboard wird an führende Computerhersteller in Taiwan (neuerdings auch in China) in oft nur einem Exemplar per Unternehmen geliefert und Marketingleute von AMD oder Intel halten Vorträge über die zukünftige Geschäftsplanung, denen wir hier andächtig lauschen. Die Techniker vergessen hinterher das ganze Marketinggerede eh wieder und die Produktmanager kennen sowieso kaum das Alphabet (deswegen sind sie Produktmanager und keine Techniker). Aber es ist immer ein netter sozialer Event mit netten Leuten aus den USA und nettem Essen hinterher.

 Ob auch die taiwanische Computermesse Computex eines Tages abwandert...

c) Die taiwanischen Computerhersteller machen ihre eigenen Motherboards bestehend auf dem Basisdesign. Etwa variieren dann CPU-Zahl und Schnittstellen wie SATA, PCIe, USB2, USB3 etc. Danach wird die Grundsoftware - das BIOS - geschrieben (das ist die Software, mit der der Computer das Betriebssystem wie Windows überhaupt erst suchen und finden kann). "Schreiben" heißt für taiwanische Softwareentwickler, dass sie es aus einem vorgegeben Standard-BIOS der gängigen zwei Hersteller (einer hat glaube ich den anderen längst aufgekauft mittlerweile) zusammensetzen.


... oder wird sie standfest am Standort Taipei bleiben?

d) Parallel dazu kommen die Kunden zu uns mit eigenen Projekten. In meiner Abteilung machen wir Server. Also will dann ein US-Kunde (oder japanischer oder manchmal europ. Kunde) etwa einen netten flachen Hochleistungscomputer haben, der dann beispielsweise an die US-Navy verkauft werden soll, wo die Fregatten ja längst schwimmende Linux-Rechenzentren sind. Dazu ist Feintuning erfoderlich, damit die Kisten nicht überhitzen. Dieses Feintuning erledigen die eigenen US-Ingenieure daheim in den USA in Zusammenarbeit mit den taiwanischen Ingenieuren hier, in dem sie diesen Vorgaben machen und die diese umsetzen. Taiwaner denken bei Computern an das nackte (und thermisch daher unproblematische) Motherboard, während der Überseekunde an den Computer im Gehäuse und die damit einher gehenden thermischen Probleme denkt.

e) Wenn die Prototypen (auch schon in China) vom Motherboard gefertigt sind, findet die Massenproduktion in China statt. Das taiwanische Unternehmen hat dazu i.d.R. eigene Fabriken in China. Taiwanische Ingenieure sind dazu dauerhaft in China stationiert, um die Produktion zu überwachen (sog. Prozessingenieure). Während der kritischen Phasen reisen Leute aus der taiwanischen Zentrale nach China, um zusätzlich zu kontrollieren. Festland-Chinesen ohne taiwanische Anleitung würden nur bunte Bretter aka Ausschuss produzieren. Jedenfalls in einer Fabrik, die Taiwanern gehört.

f) Der fertige Server wird dann von großen US-Unternehmen z.B. im Rahmen der "Lösungen statt Produkte"-Philosophie mit teurem Consulting und dem Badge der US-Firma an Kunden weltweit verkauft. Oder schippert eben mit der US-Navy herum.

Mein Part dabei war, die Produkte kundennäher testen zu lassen. Vor meiner Arbeit hier etwa wurde ein Linux-Server nur mit DOS und Windows getestet und lief dann nach beginnender Massenproduktion beim Kunden nicht mit Linux oder UNIX, so dass die Produktion teuer umgestellt werden musste. Da reicht schon ein aus der Spec laufender Transistor oder Widerstand, damit so etwas passiert. Ich habe in den vergangenen Jahren oft Linux-Testsoftware gemacht, so dass klar war, dass das Gerät auch wirklich funktionieren wird. Bei Embedded Geräten mit manchmal nur winzigen Flashdisks drin und ohne Tastatur und Bildschirmanschluss war das manchmal alles andere als trivial, auch gerade wenn es keine Standardarchitektur ist. Auch ein ganzes Linux-Cluster aus mehreren zusammengeschalteten Rechnern habe ich schon mal aufgebaut, weil die Endkunden das auch machen wollten.

Nun wird alles anders. Offenbar kommen immer mehr Kunden mit fertigen Server-Boards an und wollen diese nur noch von uns in China produziert haben. Dazu werden also nur noch wenige Hardwareleute und die Prozessingenieure für/in die Fabrik in China gebraucht. Im Zuge dieser Umstellung habe ich die Linuxsoftware aufgegeben und einige Zeit teaminterne ERP-Software von Grundauf programmiert. So ein Hardwaretest-Scheduling - Tool mit Urlaubsplanung, die Tester-Fähigkeiten berücksichtigende Test-Scheduling-Planung und einem Viewer für verschlüsselte Lehr-Videos auf einem Server, mit Team-Urlaubsplanung und mehr, das an 40 Plätzen lief.

Doch im Zuge der Neuentwicklung wird mein Unternehmen wohl die Softwareseite ganz und gar einstellen und ich bin - sicher auch wegen unserer anderweitigen (Wieder-)Auswanderungsplanung wohl nur noch temporär im Unternehmen. Ach ja: da die Linux-Testsoftware nicht mehr so oft gebraucht wurde hat sich, als ich das Aufgabenfeld gewechselt habe, schnell ein Kollege meinen alten Arbeitstitel "Linux-Software-Leiter" gegriffen. Der kann zwar kein bis wenig Linux und macht auch keine Linuxsoftware, aber freut sich jetzt über den neuen Jobtitel. Das ist der BIOS-Leiter von oben im Text ;-)

Am Ende wird mein Unternehmen sich transformieren müssen, denn der PC- und Notebook-Bereich steckt sowieso schon lange in den roten Zahlen. Man müsste auf Managementebene ganz oben nacheifern und Lösungen statt Produkte verkaufen. Und damit den eigenen Markennamen ausbauen, den Endkunden kaum kennen. Aber auch dann gäbe es wohl nur neue Büros in den Kundenländern in Übersee und am Ende vielleicht nur noch ein kleines Office in Taiwan. Dafür aber viele Prozessingenieure in China. Hier in Taiwan kommt das alte Geschäftsmodell wohl unwiderruflich zum Ende.

Mein Versuch, zur Wertsteigerung ("added value") Software zusätzlich zu den Servern zu verkaufen konnte sich auch nicht durchsetzen. Man findet in Taiwan keine arbeitsfähigen und arbeitswilligen Software-Entwickler. Die geben hier viel vor, inklusive US-Studium, können aber in Praxi nichts bis wenig. Taiwan also in Zukunft nur noch als .... als Kontaktbüro für Massenproduktion fertig vom Kunden entwickelter Motherboards in China. Ist das die Zukunft? Offenbar ja. Das Topmanagement müsste dringend das Unternehmen umstrukturieren, wenn es überleben soll.

* Ein Denkmal in Vancouver, als ich noch als reisender Linuxmensch bei Chinesen in Kanada war, die dort für den Weltmarkt Netzwerkgeräte entwickeln, die dann in Taiwan (mit-)entwickelt und wieder in China gebaut wurden

6 Kommentare:

Xinxi hat gesagt…

Interessante Geschichte. Meinst du, dass das typisch für die ganze IT-Branche in TW ist? Oder betrifft das nur ein kleines Sub-Segment?

Long time follower hat gesagt…

ECS? :)

"Ludigel" hat gesagt…

Xixi: Der Rückgang bei NB und PC ist branchenweit. Einen gewissen Serverrückgang wird es branchenweit auch wegen der Cloud geben, die die Hardware besser ausnutzt aka einspart. Ein Unternehmen, dass früher einen real exist. Server gemietet hat, kriegt heute meist einen virtuellen, der physisch auf freien Kapazitäten irgendwo läuft. Was früher 100 reale Server gemacht haben können heute vielleicht 40 reale, denke ich mal.
Wenn wir mehrere Großkunden haben, die nur noch gefertigt haben wollen, ist das vermutlich branchenweit [...]. [Nachtr. gekürzt des ewigen Google-Chaches halber.]

Ulrich hat gesagt…

Hallo,

in meiner Zeit in Taiwan habe ich auch öfters gehört, dass Taiwan einen extremen Mangel an Softwareentwicklern aufweist. Bei kurzer Überlegung kommen mir dabei insbesondere zwei Aspekte in den Sinn:

- Gute Softwareentwickler mit einer gewissen Mobilität wechseln auf lukrativere Positionen nach Singapur, Hong Kong, etc.
- Im Bereich der Softwareentwicklung haben sich in den letzten Jahren "agilere" Projektmanagementmethoden etabliert und als erfolgreicher bewiesen. Der stark hierarchische Ansatz, wie in Taiwan, könnte dabei weniger effektiv und effizient sein.

Viele Grüße

"Ludigel" hat gesagt…

In der Tat hat man hier immer den Software-Teamboss, der alles leitet ;-)

Ulrich hat gesagt…

Direkt meine Frage vergessen :) Was ist, deiner Meinung nach, der Grund für die Situation?