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Montag, September 25, 2017

Kicher, ein Ausländerkind (Taiwaner im Stalkingmode)

Manchmal kriegt man einfach zu viel Aufmerksamkeit

Als ich im Jahre des Herrn 2004 auf die Insel Formosa aka Taiwan kam, waren wir Ausländer noch eine richtige Attraktion. Fast überall wurde man angestarrt. Sogar in Taipei blieben manchmal Gruppen von Leuten stehen und einer davon zeigte aufgeregt auf meine Wenigkeit und alle gafften, nicht selten mit offen stehendem Mund. "Waiguoren" (Ausländer) oder "Laowai" (etwa: Ausländerhäuptling) oder "Adogah" (gespr. Adoah*, etwa: Langnase) hörte man allenthalben. Man(n) genoss es vielleicht, wenn einem die taiwantypisch miniberockten jungen Frauen hinterher starrten, aber man fand es merkwürdig, Komplimente von Männern zu bekommen, die einen dann auch noch antaschten. Es war bizarr, wenn mein deutscher Wohlstandsbauch von einer ganzen Gruppe von Kolleginnen und Kollegen in der taiwanischen Firma als super-groß wie der von Bud Spencer bezeichnet wurde, während weitaus dickere Kollegen mit Faßbauch daneben standen und sich mit freuten.
Es war nervig aber üblich, wenn solche anfängliche echte oder schon feixende Freundlichkeit in Dauerstalking und bully-haftes Verhalten überging. Wenn etwa der freundliche Kantinenmensch in der dritten Woche mit dem Finger auf mich zeigte und auf taiwanisch etwas davon erzählte, er könne mir "helfen eine Frau zu finden und zum Tee einzuladen". Wohlgemerkt nicht zu mir redete sondern zu allen anderen Kollegen in der Schlange, von der ich keine Sau kannte und die mich alle rotköpfig auslachten.
Es war nervig, wenn das anfänglich freundlich-neugierige Kantinenpersonal alsbald immer bei mir etwas zu meckern hatte (Desert-tropft, Teller zu voll), während Taiwaner unbeachtet mit sich biegenden Tellern und tropfenden Deserts von Dannen zogen. Die Kantine wurde zum Spießrutenlauf; heute gehe ich nicht mehr hin. Der mit dem "Tee" wurde gefeuert, nachdem ich ihn auch vor allen Kollegen anranzte. Oder versetzt. Spaß gemacht hat mir das alles nicht.

 Dies und folgende: 737-Lane NeiHu, Taipei

Dafür kamen kurzberockte Kolleginnen in den Cubical, fütterten mich mit Keksen und warfen manchmal ihren Minirock hoch, wenn sie nach privaten Deutschstunden fragten. Die eine hatte einen Kussmund auf dem Slip an der entsprechenden Stelle, die andere ein Herz und Love. Hatte alles seine zwei Seiten. Mit Frau eine Reihe hinter mir war dann einmal der Arbeitstag vorschnell zu Ende nach dem Rockflug.

So gab es überall Licht und Schatten, halb offen aggressiv nur in einem Diner, der von Festlandchinesen betrieben wurde und die mich als Kunden gar nicht wollten, obwohl meine Frau immer die leckeren Nudeln von ausgerechnet da wollte. Man wurde entweder glorifiziert (was schnell ins Verkaspern überging) oder mindestens ein bisschen verachtet. Normal angesehen wurde man eigentlich nie. Die Presse war immer voll mit Stories von bösen Ausländern, die entweder ihren Hund gegen einen Busch in einer Straße pinkeln ließen (Skandal! TV-Bericht!) oder Verkehrsunfälle hatte (die bis heute nicht beendete Story um Zain Dean - monatelang TV-Hit Nr. 1).



Um 2010 herum wurde es dann ruhiger. Meine Theorie ist, dass die Taiwaner anfangs uns "weiße" Ausländer "ganz doll lieb" hatten und dachten, wir seinen halt Clowns zu ihrer Belustigung und irgendwie doof-drollig. Während sie uns aber nach jedem "Skandalbericht" in der Presse ein bisschen weniger lieb hatten. Und so hat man seit ein paar Jahren eigentlich seine Ruhe in Taiwan und wird normal behandelt. Oder haben sie nur aufgehört zu lächeln und hassen einen jetzt insgeheim? Ich weiß es nicht. Wenn ich heute irgendwo lang schlappe, gibt es kein "Hello" und "Can you teach my kids English?" mehr. Ich werde einfach nicht beachtet und gelegentlich gibt es einen bösen Blick habe ich so das Gefühl. Aber relativ selten. Wie sind die Erfahrungen von anderen? Das würde mich interessieren.

 (früher hätten sie mich angeguckt und gekichert ;-)

Anlass ist der sonnabenddliche Besuch auf der vollen 737-Lane. Zwei etwa 16 Jährige standen neben uns an der Fressbude. Sie zeigten laufend zu meinem kleinen Sohn (6) herüber und tuschelten und kicherten. Besonders freundlich wirkte das nicht. Dann äfften sie meine Frau nach, als diese "let's go" sagte. Dackelten uns grob hinterher, immer auf meinen Sohn zeigend und kichernd. Meine gesteigert bösen Blicke veranlassten beide Jungmänner zum kurzzeitigen Abdrehen und sofortigen Weggucken, nur um dann weiter zu machen, wenn sie sich unbeobachtet fühlten. Taiwaner können bis zum Exzess passiv-aggressiv sein und dies über Wochen und Monate durchhalten, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Offen konfrontativ sind sie nie, hängen aber an einem wie die Kletten wenn man es zulässt. Auf "weiche" Signale reagieren sie nie, nur auf kurzzeitiges "Ausflippen" meinerseits. Das habe ich schon richtiggehend einstudiert, um sie damit zu vertreiben - musste es aber schon seit Jahren nicht mehr benutzen. Das war jedenfalls das einzige das wirkt. Untereinander reagieren Taiwaner auch auf kleinste Signale des Missfallens habe ich das Gefühl, um den gefürchteten Gesichtsverlust zu vermeiden. Aber bei Ausländern haben sie "Gesicht gewinnen" im Kopf. Darunter versteht man sich auf Kosten eines anderen vor der eigenen In-Group zu profilieren. Bislang hat sich noch jeder Taiwaner, mit dem ich mich auf nähere Sozialkontakte eingelassen habe irgendwann als kleiner Showmaster vor anderen auf meine Kosten profiliert. Und ich stand oder saß in einer Traube voller rotköpfiger und kichernder Taiwaner. Oder sie heißen mich an meinem langjährigen Arbeitsplatz willkommen, obwohl sie gerade erst angefangen haben bei der Firma oder ähnliches Zeug.

Ich habe offen gestanden einen Sozialkontaktbann erlassen um peinliche Situationen zu vermeiden. Obwohl ich dachte, heute bräuchte man so etwas nicht mehr, weil man eher als Normalo angesehen wird. Aber das Erlebnis vom Wochenende lässt mich zweifeln. Na gut, Zeit habe ich für kichernde oder nicht kichernde Taiwaner eh keine mit Sohn und Job.

Frau hat das Problem gelöst. Sich zwischen Sohn, mich und die beiden Jungs gestellt und sie angeguckt. Sofort war Ruhe. Wie gesagt, auf die schwachen Signale von anderen Taiwanern (aka "richtige Menschen") reagieren sie sofort.

Hauptsache Ruhe. Meine oberste Maxime. Und deswegen eben auch ein taiwanerfreier Freundeskreis - will sagen eigentlich gar keiner in Taiwan. Aber Ruhe ist eben auch so ein wertvolles Gut in so einer hektischen Stadt wie Taipei.




* Bedeutung hier umstritten: entweder aus dem japanischen stammend und ursprünglich "A-dog" bedeutend und als pseudoenglisches Schimpfwort für Weiße verwendet oder eben aus dem Taiwanisch/Hoklo kommend und "große Nase" bedeutend. Oft einfach als Hoklo-Wort für Ausländer verwendet


Quintessenz: Heute wird man meist in Ruhe gelassen, normal behandelt oder eben ignoriert. Früher war man eher Star oder Clown für die Taiwaner. 

2 Kommentare:

patrick_secret hat gesagt…

hehe ja das entspricht auch meine Beobachtungen, besonders das profilieren
und rumprahlen des bekannten ausländers gegenüber anderen taiwannern..
Bin ab Oktober 3 Wochen in Taiwan falls Lust hast könne man sich mal Treffen komm auch nach Taipei

"Ludigel" hat gesagt…

Hallo Patrick, können wir gerne machen in Taipei. Näheres dann hier oder kontakt@globalforeigner.com ;-)